Harish Sritharan stottert, seit er sich erinnern kann. Und: Er wollte Lehrer werden, trotz seines sprachlichen Handicaps. Harish wollte es besser machen als die Lehrpersonen, die ihn unterrichtet haben. Diese nahmen nämlich keinerlei Rücksicht auf sein Stottern.
Besonders schlimm war es für ihn, Vorträge zu halten: Aufgrund seines stockenden Redeflusses brauchte er mehr Zeit als seine Mitschülerinnen und Mitschüler, bekam diese aber nicht. So konnte er seine Vorträge selten innerhalb der vorgegebenen Zeit zu Ende bringen und bekam dementsprechend schlechte Noten.
Kein Stottern bei der Arbeit mit Kindern
Auch sein Weg zum Traumberuf war beschwerlich: Aufgrund seines sprachlichen Handicaps wurde Harish Sritharan die Aufnahme an der Hochschule seiner Wahl verweigert. An der Pädagogischen Hochschule Luzern wurde der Basler zwar aufgenommen, das Studium dauerte für ihn aber ein Jahr länger als für seine Kommilitoninnen und Kommilitonen.
Harish gab sich aber nicht mit der Opferrolle zufrieden, sondern suchte immer wieder das Gespräch mit Dozierenden und der Diversitätsbeauftragten der Pädagogischen Hochschule Luzern. Mit dieser Beharrlichkeit und seinem pädagogischen Talent konnte er schliesslich alle Zweifler überzeugen.
Dabei kam ihm eine Besonderheit sehr entgegen: Im Umgang mit Kindern stottert Harish nicht.
Wortmeldungen brauchen Mut
Auch Joel Rieble kam in seiner Schulzeit nach Vorträgen immer wieder frustriert nach Hause. Er war bestens vorbereitet, konnte das erarbeitete Wissen mündlich aber nicht weitergeben. Logopädie und andere Therapien brachten nicht den gewünschten Erfolg.
Joel stotterte auch nach dem Ende der obligatorischen Schulzeit noch und befürchtete, wegen seines Handicaps keinen spannenden Beruf erlernen zu können. Doch er machte eine Lehre zum Polymechaniker und hängte die Matura und ein Studium an. Heute arbeitet Joel Rieble als Entwicklungsingenieur.
Ich werde häufig unterschätzt.
«Alles, was im Studium mit Kommunikation zu tun hatte, war hart», erinnert sich Joel Rieble. Es brauchte grossen Mut, sich während der Vorlesungen und Übungen zu Wort zu melden, wenn er etwas nicht verstanden hatte. Und dieser Mut fehlte Joel häufig.
Auch heute noch ist es schwierig für den 27-jährigen Luzerner, sich in Meetings zu Wort zu melden. «Ich werde darum häufig unterschätzt», sagt Joel Rieble. Für seine Vorgesetzten stellte sein Stottern indes nie ein Problem dar.
«Im Berufsalltag fällt mir gar nicht mehr auf, dass Joel stottert», sagen sein Vorgesetzter und seine Berufskollegen bei der Firma Thermoplan in Weggis LU.
Buben stottern häufiger als Mädchen
Fünf Prozent aller Kinder stottern. Buben doppelt so häufig wie Mädchen. Die Ursache für diese Ungleichverteilung ist noch nicht restlos geklärt.
Bei vier von fünf Kindern wächst sich das Stottern vor der Pubertät aus. Bei den Erwachsenen liegt der Anteil der stotternden Menschen bei ungefähr einem Prozent.
Kein Stottern beim Reden vor dem Spiegel
So sind es denn auch vornehmlich Männer, die sich in der Gruppentherapie bei Stotterexperte José Amrein in Luzern treffen. Der Logopäde arbeitet mit den Betroffenen vor allem an deren Selbstvertrauen.
Eindrücklich: Fast all seine Klienten reden flüssig und ohne zu stottern, wenn sie vor dem Spiegel mit sich selbst sprechen. Zum Stottern braucht es offensichtlich immer zwei. Darum unterstützt Amrein seine Klienten darin, sich mehr auf ihre Stärken zu konzentrieren als auf ihr Stottern und so ihr Selbstvertrauen zu stärken.
Laut José Amrein hilft auch Akzeptanz: Sich selbst mit seinem Stottern anzunehmen, verflüssigt in der Regel die Sprechweise. Denn Stottern ist ein paradoxes Phänomen: Je mehr ein Betroffener sich bemüht, nicht zu stottern, desto mehr stottert er.
Stotternde Menschen sind empathisch
So oszillieren stotternde Menschen oft zwischen Scham, Therapie und Akzeptanz, sehen ihren stockenden Redefluss als störendes Persönlichkeitsmerkmal einerseits und als Chance andererseits: Denn stotternde Menschen gelten als sehr sensibel und empathisch und sind darum äusserst beliebte Gesprächspartner.
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Joel Riebel etwa sagt von sich: «Das Stottern hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin, empathisch und feinfühlig, aber es wäre trotzdem schön, es loszuwerden.»