12‘000 Dollar (knapp 11'000 Franken) hatte der ältere US-Amerikaner eben von seiner Bank abgehoben. Er war drauf und dran sein ganzes Geld an einen Onlinebetrüger zu verlieren.
Da klingelt sein Handy. Der Anrufer stellt sich als Sven vor. Seinen echten Namen will er nicht preisgeben, denn was er tut, ist vor dem Gesetz klar illegal. Sven erklärt dem Mann die perfide Masche der Betrüger und kann ihn so gerade noch rechtzeitig vor dem finanziellen Ruin bewahren: «Die manipulieren Sie, um Ihr Geld zu stehlen.»
Sven jubelt und ist zufrieden. Einmal mehr ist es ihm gelungen, einen Betrug zu vereiteln. Um Menschen wie den älteren Mann in den USA vor Internetbetrügern zu retten, hackt er sich in Computersysteme von kriminellen Banden ein. Auf diese Weise kann er genau verfolgen, was die Betrüger tun – und eingreifen.
Helden oder Kriminelle?
Sven ist ein sogenannter Scambaiter, ein selbsternannter Kämpfer gegen Onlinebetrüger. Er ist Teil einer Community, die ihre Erfolge auf Youtube teilt und mit ihren Videos ein Millionenpublikum erreicht. In den Videos ist zu sehen, wie Scambaiter potenzielle Opfer retten.
Aber nicht nur das: Oft wischen sie auch den Betrügern gehörig eins aus, indem sie ihnen Streiche spielen. Mithilfe minutiöser Recherchen entlarven sie beispielsweise deren Identitäten. Die Betrüger bekommen Angst und reagieren völlig schockiert. Diese Reaktionen zeigen die Scambaiter, indem sie sich in Überwachungskameras einhacken und diese Aufnahmen dann auf YouTube stellen.
Viele Scambaiter sammeln Informationen zu den Betrugsmaschen der Internetbetrüger. Diese Recherchen spielen sie in der Folge der Polizei zu – in der Hoffnung, dass diese die Betrüger dann festnehmen. Doch weil ihre Methoden illegal sind, stellt sich die Frage: Sind Scambaiter Helden oder selbst Kriminelle?
«Nicht unbedenklich, oder?»
Roger Rüttimann, der bei der Kantonspolizei Bern ein Team von Cyberermittlern leitet, findet: «Als Polizist muss ich sagen: nicht unbedenklich, oder?». Er kritisiert Selbstjustiz und weist darauf hin, dass die Polizei möglicherweise auch gegen Scambaiter ermitteln müsste, falls diese sie kontaktieren sollten. Die Polizei müsse sich an die Gesetze halten und könne sich nicht ohne Gerichtsbeschluss wie Scambaiter in Computersysteme der Betrüger hacken, führt Rüttimann weiter aus.
Unter anderem muss sich die Polizei an die Datenschutzgesetze halten. Der Ermittler betont, dass Aktionen von Scambaitern die Täter auch aufschrecken können, worauf diese Beweismittel vernichten und fliehen.
Hilflosigkeit der Opfer
Die 32-jährige Juristin Katja hätte sich einen Anruf eines Scambaiters gewünscht, der sie gewarnt hätte. Sie hat ihr fast gesamtes Erspartes von knapp 50‘000 Franken an einen Betrüger mit einer besonders perfiden Masche verloren. Katja hat zwar Anzeige erstattet, glaubt aber nicht, dass sie ihr Geld je wieder zurückbekommt.
Eine Polizeimitarbeiterin hätte ihr von Beginn weg keine Hoffnungen gemacht: «Dann fragte sie mich, ob ich das wirklich anzeigen möchte. Sie könnten sowieso nichts machen. Es seien internationale Banden.»
Wenn das beinhaltet, dass man sich reinhackt, finde ich es okay.
Die Erfahrung war einschneidend: «Es fühlte sich an, als ob mir der Boden unter den Füssen weggezogen worden wäre». Sie war völlig hilflos und konnte nichts tun. Deshalb unterstützt sie – selbst als Juristin – die Methoden der Scambaiter: «Ich bin klar der Meinung, dass man denen auf Augenhöhe begegnen und mit den gleichen Tools gegen sie vorgehen muss, wie sie gegen die Zivilbevölkerung vorgehen. Wenn das beinhaltet, dass man sich reinhackt, finde ich es okay. Eigentlich schützen wir mit unseren restriktiven Vorgaben die Täter, weil man ihre Rechte auf Daten usw. schützen will.»
Weltweites Milliardengeschäft
Onlinebetrug ist ein weltweites Milliardengeschäft – und Menschen in der Schweiz verlieren jedes Jahr Dutzende Millionen Franken. Im vergangenen Jahr haben Opfer hierzulande Verluste in der Höhe von mehr als 160 Millionen Franken allein bei Onlineanlagebetrug angezeigt. Tendenz steigend. Dies gibt das Netzwerk digitale Ermittlungsunterstützung Internetkriminalität (NEDIK) bekannt.
Das NEDIK fördert die Zusammenarbeit zwischen den Kantonen untereinander und dem Bund. Nationale Zahlen für andere Onlinebetrugsarten liegen nicht vor. Zudem geht die Polizei von einer hohen Dunkelziffer aus. Viele Menschen schämen sich dafür, dass sie auf die Tricks hereingefallen sind und reden nicht über den Betrug. Die Aufklärungsrate ist tief.
Scambaiter sind regelmässig im Dilemma
Von Scambaitern illegal gesammelte Beweise sind vor Gericht nicht zugelassen. Sie dürfen nicht verwendet werden und können folglich auch nicht zu einer Verurteilung der Täter führen. Sven ist in Indien zuhause, er hat es sich zur Aufgabe gemacht, den ebenfalls indischen Betrügerbanden das Handwerk zu legen. Er sagt, ab und zu schaffe er es, mit der indischen Polizei zusammenzuarbeiten.
Aufgrund seiner Informationen und eigener Abklärungen würde die indische Polizei in betrügerischen Callcentern Razzias vornehmen, dabei eigene Beweismittel sicherstellen und Betrüger festnehmen.
Wenn man einen Dieb fangen will, muss man wie ein Dieb denken.
Verurteilt werden Onlinebetrüger trotzdem selten – es müssen viele Faktoren ineinandergreifen. So müssen die Behörden in den Ländern der Täter und jene in den Ländern der Opfer zusammenarbeiten. Möglichst schnell und mit verschiedenen Verfahren. Das gestaltet sich oftmals als schwierig.
Während das Rechtssystem der Onlinekriminalität hinterherhinkt, versuchen Scambaiter wie Sven zu helfen. Er findet: «Wenn man einen Dieb fangen will, muss man wie ein Dieb denken.»