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«Die Betroffenen müssen besser abgeholt werden»
Aus DOK vom 09.06.2017.
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Kesb in der Kritik «Bei der Kommunikation besteht Handlungsbedarf»

Guido Marbet ist Präsident des Obergerichts und der Justizleitung des Kantons Aargau und gleichzeitig Präsident der KOKES. Die Konferenz für Kindes und Erwachsenenschutz, KOKES, ist ein Verbindungsorgan zwischen den kantonalen Aufsichtsbehörden im zivilrechtlichen Kindes- und Erwachsenenschutz.

Welche Vorteile hat das neue System aus Ihrer Sicht im Vergleich zu früher?

Guido Marbet: Der Hauptvorteil besteht darin, dass wir heute unabhängige Instanzen haben, die für Entscheide über den Schutz von Kindern und Erwachsenen zuständig sind, die auf Hilfe angewiesen sind. Und der zweite, grosse Vorteil ist, dass es Fachleute sind – vorwiegend Fachleute aus den Bereichen soziale Arbeit und Psychologie – die diese Entscheide fällen. Fachleute, die genau in den Fragen Erfahrung haben, die sie entscheiden müssen.

Gibt es auch Nachteile in diesem neuen System?

Ich sehe offen gestanden keine Nachteile. Es gibt für mich auch keinen Handlungsbedarf auf gesetzgeberischer Ebene. Handlungsbedarf besteht aber vor allem bei der Kommunikation mit den Betroffenen. Sie müssen besser abgeholt werden. Man muss darauf achten, dass sie die Entscheide verstehen. Dazu gehört, dass man ihnen die Entscheide zum Beispiel mündlich eröffnet, bevor man sie schriftlich zustellt. Das sind wichtige Anliegen, auf die wir Wert legen und wozu wir von der KOKES auch spezifische Ausbildungen anbieten.

Seit 1. Januar 2013 werden in der Schweiz Entscheide im Kindes- und Erwachsenenschutzrecht durch Fachbehörden gefällt.
Legende: Kinderschutz: Seit 1. Januar 2013 werden in der Schweiz Entscheide im Kindes- und Erwachsenenschutzrecht durch Fachbehörden gefällt. Keystone

Gibt es ein Kommunikationsproblem mit der Öffentlichkeit?

Auf jeden Fall ist es schwierig für die Kesb, einen Sachverhalt in der Öffentlichkeit richtig darzustellen, weil sie unter dem Amtsgeheimnis steht. Das Amtsgeheimnis ist nicht einfach ein abstraktes, bürokratisches Instrument. Nein, es dient ganz spezifisch dem Schutz der Betroffenen.

Der gesamte Bereich des Kindes- und Erwachsenenschutzrechts ist nicht öffentlich – zum Schutz der Betroffenen. Damit diese sich in einem geschützten Bereich befinden, wenn es darum geht, über ihre schwierige Situation zu entscheiden.

Deshalb kann man nicht, wenn etwas an die Öffentlichkeit gelangt, frei erzählen, dass sich der Fall anders abgespielt hat als öffentlich dargestellt. Das ist die Schwierigkeit, in der wir stecken.

Im Strafrecht stellen sich ähnliche Probleme – man löst sie mit Vollmachten: Betroffene entbinden die Behörden von ihrer Schweigepflicht. Wäre das ein gangbarer Weg für die Kesb?

Leider nicht. Denn es bestehen Unterschiede zu einem Strafverfahren. Ein Strafverfahren ist grundsätzlich öffentlich. Im Kindes- und Erwachsenenschutz-Bereich ist alles nicht öffentlich. Diese Nicht-Öffentlichkeit dient dem Schutz der Betroffenen. Auch wenn die Eltern ihr Einverständnis geben, dürfen wir die Öffentlichkeit zum Schutz des Kindes nur mit grösster Zurückhaltung informieren. Und wir müssen in Kauf nehmen, dass nicht alles richtig dargestellt wird. Wir müssen auf die Zähne beissen und sagen: Gut, es dient dem Schutz des Kindes.

Beratungsgespräch in der Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde Kesb. Die Kommunikation mit den Betroffen soll sich verbessern.
Legende: Beratungsgespräch: Die Kommunikation mit den Betroffen soll sich verbessern. Keystone

Es wird suggeriert, im neuen System «menschele» es nicht mehr, nun sei alles streng professionell – aber es «menschelt» doch überall …

Ja, das ist ganz normal. Wie in einem Gerichtsverfahren auch. Es gibt immer auch eine menschliche Ebene, die hineinspielt. Aber als Profi muss man in der Lage sein zu abstrahieren.

Das ist der eine Teil. Und der andere Teil ist der Rechtsschutz. Das heisst: Jeder Entscheid kann mit einfachsten Mitteln und Möglichkeiten an eine gerichtliche Instanz weitergezogen werden . Diese entscheidet dann nochmals: Ist alles richtig abgelaufen? Sie entscheidet auf einer Ebene, auf der es nicht mehr „menscheln“ darf. Zumal es vor alle um die Überprüfung geht, nicht mehr um den direkten Kontakt mit den Betroffenen.

Betroffene sagen, man habe viele Rechte – aber gegen Kesb-Entscheide habe man sowieso keine Chance.

Diesen Vorwurf muss ich klar zurückweisen, er ist völlig unberechtigt. Denn von einer gerichtlichen Instanz darf man erwarten, dass sie mit der Sorgfalt entscheidet, die man von einem Gericht kennt und die in unserem Rechtsstaat etabliert ist. Der Kostenfaktor, der einen abhalten kann, gegen einen Entscheid vorzugehen, spielt insofern keine Rolle, als das Instrument der unentgeltlichen Rechtspflege besteht.

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«Arena/Reporter», Sonntag, 11. Juni 2017, 21.40 Uhr live auf SRF1.

Ein anderer Vorwurf: Die Kesb sei zu weit weg von den Betroffenen. Kein Problem?

Kein Problem, das wäre falsch. Deshalb habe ich gesagt: Die Kommunikation ist ganz wichtig. Durch die Professionalisierung ist die Bürgernähe natürlich ein Stück weit verloren gegangen. Dafür hat man nun eine unabhängige Instanz. Dies ist der grosse Gewinn.

Wir müssen die Bürgernähe wieder herstellen, indem wir die Kommunikation gut pflegen. Dabei ist aber nicht zu vergessen, dass Kommunikation auch Zeit und Ressourcen benötigt. Die personelle Ausstattung der Behörde muss also stimmen, damit man die Kommunikation gut machen kann.

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«Die Arbeit der Kesb verdient ein besseres Image»
Aus DOK vom 09.06.2017.
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Viele haben den Eindruck: Die Schweigepflicht komme der Kesb oft gelegen. So müsse sie auch nie zu Fehlentscheiden Stellung nehmen.

Ja, dieser Eindruck kann entstehen. Das verstehe ich. Und das stört mich ungemein. Denn wir machen die Erfahrung, dass die Kesb ihre Arbeit gut erledigt.

In der Deutschschweiz ist die Wahrnehmung eine andere – gestützt auf ganz wenige Fälle, Einzelfälle. Wir haben es jedes Jahr mit rund 130‘000 Geschäftsfällen zu tun. Und wir reden von nicht einmal zehn, die je zu Diskussionen Anlass gegeben haben. Das ist ein Verhältnis, das für sich spricht. Also macht diese Behörde ihre Arbeit in der überwiegenden Anzahl der Fälle gut. Darum hätte sie auch ein anderes Image verdient.

Es laufen Bestrebungen, die Kesb mit einer nationalen Initiative abzuschaffen. Was wären die Konsequenzen bei der Annahme einer solchen Anti-Kesb-Initiative?

Da kommt es zuerst darauf an, was wirklich der Gegenstand des Initiativtextes sein wird. Der steht meines Wissens noch nicht definitiv fest. Ich könnte im Moment also nur spekulieren.

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