Ziegen waren noch vor 150 Jahren wichtige Tiere in der Schweizer Landwirtschaft. Pro Specie Rara schätzt, dass es im 19. Jahrhundert gegen 40 Rassen und lokale Ziegenformen gab im Land. Heute sind es noch 13, wovon zwei Rassen aus Afrika und eine Rasse, die Anglo-Nubier-Ziege, aus den Kolonialbeständen Englands stammen.
Ziegen, die von Natur aus hornlos sind, kann man nicht endlos züchten.
Einige Schweizer Rassen werden meist ohne Hörner präsentiert: Die graue Toggenburger, die weisse Appenzeller oder die Saanen-Ziege. Was kaum jemand weiss: Ziegen, die von Natur aus hornlos sind, kann man nicht endlos züchten. Weil das Horn-Gen mit der Fruchtbarkeit gekoppelt ist, muss man immer wieder behornte Ziegen in die Zucht einkreuzen, damit die Fruchtbarkeit erhalten bleibt. Und damit kommen immer wieder junge Ziegen mit Hörnern auf die Welt. Diese Hörner werden den Zicklein oft in den ersten drei Lebenswochen mit einem heissen Eisen abgebrannt – unter Vollnarkose.
Tierärzte gegen die Enthornung
Nicht nur der Schweizer Tierschutz wehrt sich gegen diese Praxis, weil sie unnötig sei. Auch die Gesellschaft Schweizer Tierärzte sprach sich selten deutlich gegen die Enthornung junger Ziegen aus: Der Eingriff sei zu heikel, die Schädeldecke junger Ziegen dünn, die Brandfläche betrifft rund einen Drittel des Schädeldachs der Kleinen. Und auch hier vor allem: Bei richtiger Haltung sei eine Enthornung überhaupt nicht nötig.Diesen Befund stützt die Verhaltensforschung – an der ETH und beim Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLW.
Wird ein Stall für Ziegen artgerecht konzipiert und eingerichtet, weichen sich die Ziegen aus und Hornverletzungen sind äusserst selten. Eine Statistik über solche Verletzungen bei Ziegen gibt es nicht. Auch bei umfangreichen Recherchen bei Ziegenhaltern und bei Tierärzten konnte uns niemand ein Problem mit Hornverletzungen bestätigen.
Fragwürdige Begründung
Trotzdem setzt sich der Schweizer Ziegenzuchtverband vehement mit Schauergeschichten für die Enthornung von Ziegen ein und findet es richtig, dass dieser heikle Eingriff von Tierhaltern selbst durchgeführt werden darf – inklusive Vollnarkose, wenn solche Halter einen Kurs absolviert haben.
Eigentlich müssen schwere Eingriffe bei Tieren mit Schmerz- und Verletzungsrisiko, oder wenn sie das natürliche Aussehen oder das Verhalten beeinträchtigen, gemäss Tierschutzgesetzgebung gut begründet sein. Das einzige Argument des Ziegenzuchtverbandes der Verletzungsgefahr von Artgenossen und Menschen durch Ziegenhörner hält jedoch einer profunden Recherche in der Praxis nicht Stand.
Hörner weg statt richtiger Ställe
Trotzdem setzten sich 2008 diejenigen Kreise, die Ziegen enthornen wollen, in der Revision der Tierschutzverordnung beim Bundesrat durch – gegen die Meinung namhafter Fachexperten. Beim BLV will man das nicht kommentieren und verweist nur darauf, dass «der Gesetzgeber die Interessen derjenigen Kreise, die enthornen wollen höher gewichtet hat, als diejenigen der Tiere.»
Wie mächtig sind die Kreise in der Landwirtschaft, dass sich niemand traut, eine verfehlte Praxis zu ändern?
Falsch konzipierte Ställe können bei Ziegen tatsächlich die Aggressivität und das Verletzungsrisiko erhöhen. Doch anstelle die Verordnung dahingehend zu ändern, dass man artgerechte Ziegenställe vorschreibt, wird erlaubt, den Tieren die Hornansätze abzubrennen. Doch wer steht hinter dem Schweizerischen Ziegenzuchtverband, der diese Praxis beim Bundesrat gegen die besten Fachexperten im Land durchgedrückt hat? Und wie mächtig sind die Kreise in der Landwirtschaft, dass sich niemand traut, eine verfehlte Praxis zu ändern?