Sie wusste an jenem Morgen im Dezember 2012 noch nicht, dass sie ihrem Leben ein paar Stunden später ein Ende setzen wollte. Es war, wie Gabriele Fricker sagt, ein Suizidversuch aus heiterem Himmel. Es passierte etwas so Unerwartetes, dass sie plötzlich nur noch rot sah und von einem Moment auf den anderen den Inhalt eines Giftfläschchens schluckte. Drei Monate lag sie danach im Koma. Aber sie überlebte den Suizidversuch und ist heute froh darüber.
Die Angst vor dem Leben
Gabriele Fricker, Daniel Göring und Noël Kaiser waren bereit zu erzählen. Für die Anfangssequenz meines «DOK»-Films «Das Ende war der Anfang» habe ich sie ins Studio gebeten in der Hoffnung, sie würden zusammen ins Gespräch kommen. Und siehe da. Kaum sassen sie auf den bereitgestellten Stühlen, ging es mit den gegenseitigen Fragen los. «Warum wolltest du aus dem Leben? Wie hast du es versucht? Wie hat dein Umfeld reagiert?». Alle erzählten erstaunlich offen, stellten sich wichtige Fragen. Es schien, als würde sich eine Schleuse öffnen. Allen gemeinsam war die Feststellung: «Hätte ich früher gewusst, dass es eine Alternative gibt, ich hätte es nicht getan.» Und Noël, der Jüngste in der Runde stellte danach fest: «Eigentlich hatte ich Angst vor dem Sterben, aber auch vor dem Leben».
Die Hilflosigkeit der Anghörigen
In 70 Prozent der Fälle geht einem Suizidversuch eine unbemerkte Depression voraus. Angehörige sind oft überfordert und wissen sich nicht zu helfen.
«Hätte ich vorher gewusst, dass mein Freund meine Hilfsangebote gar nicht wahrnahm, weil er in einer Art Trance war, ich hätte viel früher professionelle Hilfe in Anspruch genommen», sagt Daniela Bardill, die Lebenspartnerin von Daniel Göring. Er schrieb ihr unzusammenhängende Sprachnachrichten, als er den Medikamentencocktail schon geschluckt hatte. Sie war es, welche die Ambulanz alarmierte, gegen seinen Willen. «Ich bin meiner Freundin dankbar, dass sie nicht aufgegeben hat», sagt er heute. «Damals war ich irgendwie ausser meiner selbst.»
Menschen, die sich in einer psychischen Notsituation das Leben nehmen wollen, folgen nicht ihrem freien Willen, sondern tun das in einem Trancezustand.
Links zum Thema
- Die dargebotene Hand Die dargebotene Hand
- Verein zur Bewältigung von Depressionen Verein zur Bewältigung von Depressionen
- Initiative zur Prävention von Suizid in der Schweiz Initiative zur Prävention von Suizid in der Schweiz
- Hilfe für suizidgefährdete Jugendliche Hilfe für suizidgefährdete Jugendliche
- Forum für Suizidprävention und Suizidforschung Zürich Forum für Suizidprävention und Suizidforschung Zürich
Freiwillig aus dem Leben gehen, gibt es das überhaupt? «Menschen, die sich in einer psychischen Notsituation das Leben nehmen wollen, folgen eben nicht ihrem freien Willen, sondern machen das in einem Trancezustand», sagt der Psychiater Sebastian Haas aus Winterthur. Es gehe darum Zeit zu gewinnen, damit Suizidwillige die Möglichkeit hätten, aus diesem Zustand herauszukommen. «Nur so können sie nochmals überlegen, ob es Möglichkeiten gibt, ihr Leben auf würdige Art weiterzuführen», so Sebastian Haas weiter. Er ist der Ansicht, dass mit einer besseren Suizidprävention ein Drittel der Suizide verhindert werden könnten. Damit blieben auch den Angehörigen viel Leid und Schmerz erspart.
Bücher zum Thema
Daniel Göring: «Der Hund mit dem Frisbee»
Gabriele Fricker: «Aus freiem Willen»
Anja Gysin-Maillart Konrad Michel: «Kurztherapie nach Suizidversuch»