«Wildi» nennen sie in Uri die Wildheugebiete: «Planggen», also Abhänge, die zu steil sind, um Vieh darauf weiden zu lassen, die sich aber als Heuwiesen nutzen lassen, wenn man Knochenarbeit und Gefahr nicht scheut. Meist liegen diese abschüssigen, abgelegenen Wiesen oberhalb von 1500 Metern.
Mit Nagelschuhen, gar mit Steigeisen wappnen sich die Wildheuer gegen den tiefen Fall. Denn das geschnittene, feuchte Gras, besonders aber auch das trockene Heu wirken nach einem Sturz wie eine Rutschbahn ohne Bremsmöglichkeit.
Aus diesen fast senkrechten Flächen das Heu zu holen, verlangt deshalb viel Erfahrung – und selbst diese schützt nicht vor einem Unfall, wie der tödliche Absturz von Sepp Gisler zeigte.
«Das Risiko reduziert man so weit wie möglich auf eine Minimum», sagt Sebi Gisler, der Sohn von Sepp, der den Unfall seines Vaters miterleben musste, «man trägt das passende Schuhwerk, es wird wirklich das Bestmögliche unternommen, um so einen Unfall zu verhindern. Doch bei der Arbeit im Gebirge bleibt stets ein Risiko, ein Restrisiko.»
Rund 100 Wildheuer halten in den Urner Alpen die ökologisch wertvollen Trockenwiesen offen – auf einer Fläche von etwa 350 Hektaren. Je nach ökologischer Qualität der Fläche erhalten die Bergbauern für diese Arbeit mehrere tausend Franken Subventionen pro Hektare.
In hohen Berglagen ist das Wildheuen erst ab dem 15. Juli gestattet: Bis dann sollen die Blumen absamen, die Vögel ihre Bodenbruten durchbringen können.
Das Resultat dieses aufwändigen, gefährlichen Werkes ist nicht nur das Heu in der Scheune des Bauern, es ist auch eine grosse Artenvielfalt: In den Trockenwiesen am Rophaien findet man Paradieslilien und mehrere Orchideenarten in einer betörend schönen, alpinen Kulturlandschaft mit gemähten Föhrenwäldern. Ohne das Wildheuen würden die Planggen verbrachen, verbuschen und dann ganz verwalden.
Dies geschieht ohnehin bereits im Kanton Uri wie auch in den anderen Schweizer Alpenkantonen: Der Wald wächst. Grosse Flächen Trockenwiesen sind verschwunden, und auch Alpweiden schrumpfen, jedes Jahr um rund 2000 Hektaren, was einer Fläche von 4000 Fussballfeldern entspricht.
Der Grund für diese Entwicklung: Die Sömmerung lohnt sich oft nicht mehr für die Bauern. Zudem sind die neuen Hochleistungskühe für die Alpsömmerung ungeeignet.
Das würzige, doch nährstoffärmere Alpgras reicht ihnen als Futter nicht mehr. Für den Bergtourismus wird diese Entwicklung als Verlust gewertet. Anderseits gibt es auch Alpen, die zuvor übernutzt waren, wo sich nach einem Rückzug des Menschen die Natur erholen kann.