Der 40-jährige Michael Monstein ist zweifacher Familienvater und war sein Leben lang gesund. Vor zwei Jahren die Hiobsbotschaft: Er hat eine so aggressive wie seltene Form von Lymphdrüsenkrebs.
Zwei Chemotherapien und eine Stammzelltransplantation haben versagt. Seine letzte Hoffnung liegt in der Gentherapie Kymriah. Dem Patienten werden Immunzellen entnommen, bei Novartis in den USA gentechnisch zu Krebskillerzellen umprogrammiert und dem Patienten als Einmal-Infusion zurückgegeben. So soll er seinen Krebs besiegen können.
Verhandlungspoker um Geheimrabatt
Letzten November ist Michael Monstein einer der ersten Schweizer Kymriah-Patienten. Zu diesem Zeitpunkt muss jede Krankenkasse selber entscheiden, ob sie die Kosten für Kymriah übernehmen will oder nicht. Die Verhandlungen mit Novartis für einen Rabatt, der schweizweit gelten soll, haben erst begonnen.
Für die Kassen ist der von Novartis geforderte Listenpreis von 370'000 Franken zu hoch. Sie klagen über mangelnde Transparenz, ein systemisches Problem: Einerseits halten die Pharmafirmen ihre Entwicklungs- und Herstellungskosten geheim, andrerseits ist die Datenlage bei Medikamenten für seltene Erkrankungen klein.
Die durchschnittliche Nachbeobachtungszeit von Kymriah für Lymphdrüsenkrebs beträgt nur 1,5 Jahre. Bei 40 Prozent der Patienten kehrt der Krebs in dieser Zeit nicht zurück. Ob Kymriah langfristig nützt, weiss niemand.
Vor kurzem hat ein Grossteil der Krankenkassen mit Novartis ein schweizweites Rabattmodell für Kymriah ausgehandelt; abgestuft nach Erfolg der Therapie.
Das Modell ist vertraulich, gemäss Insidern beträgt der Rabatt für Lymphdrüsenkrebs rund 20 bis 30 Prozent, Kymriah kostet also zwischen rund 250’000 und 300’000 Franken. Der Vertrag muss aber noch vom Bundesrat abgesegnet werden.
Grundlagenforschung an den Universitäten
Die Spur zu den Anfängen der Krebskillerzellen führt nicht in ein Novartis-Labor sondern an die Pennsylvania Universität in den USA. Kein Einzelfall: Über 60 Prozent der in den USA neu zugelassenen Medikamente wurden nicht von Pharmafirmen entwickelt.
SRF DOK ist es gelungen, ein Interview mit dem Erfinder von Kymriah zu führen. Als Carl June vor fast 30 Jahren mit seiner Forschung begann, interessierte sich kein Pharmakonzern dafür. «Nur dank 20 Millionen Dollar Steuergeldern und Spenden von Philanthropen konnten wir Kymriah entwickeln», sagt der Immunologe.
Novartis rief erst 2012 an, als die Erfolgsgeschichte eines leukämiekranken Mädchens um die Welt ging, dessen Krebs dank Kymriah verschwand. Durch einen Kooperationsvertrag mit der Universität konnte sich Novartis das exklusive Verkaufsrecht für Kymriah sichern.
Mit dem Wachstum des Pharmamarkts hat sich auch die Zahl der Mitspieler vergrössert. Heute sind es kleine Biotechfirmen, die die Mehrheit der neuen Medikamente entwickeln.
Risikokapital finanziert klinische Studien
Finanziert werden sie von Risikokapital-Investoren. Alfred Scheidegger und Markus Hosang betreiben Investmentfonds und finanzieren so die frühe Forschungsphase von Biotechfirmen. Sie hoffen, dass sie die Firmen im Erfolgsfall mit Gewinn an die Pharmaindustrie verkaufen können.
Pharma will keine Transparenz über Preisbildung
Der frühere Pharmamanager und Krebspatient Paul Kleutghen hat ein Preismodell für Kymriah erstellt, das Novartis ablehnt.
Es basiert auf den Angaben des ehemaligen Novartis-CEO’s Joe Jimenez, man habe über 1 Milliarde Dollar investiert bis zur Zulassung auf dem Markt.
Paul Kleutghen sagt, ein fairer Preis für Kymriah wäre 200’000 Dollar oder weniger, wenn die Zahl der behandelten Patienten steigt. Errechnet hat er diesen Preis auf Basis des durchschnittlichen Gewinns und der durchschnittlichen Forschungskosten von Novartis.
Der Europaverantwortliche für Gentherapien von Novartis weist das Modell als fehlerhaft zurück. Die seiner Meinung nach richtigen Zahlen aber will Emanuel Ostuni nicht nennen; Geschäftsgeheimnis.
Die Pharmaindustrie hat ihre Strategie in den letzten Jahren geändert: Wurden hohe Medikamentenpreise früher mit den Forschungskosten begründet, so argumentiert die Branche heute mit dem Wert eines Medikaments.
Eine längere Lebenszeit nütze nicht nur dem Patienten sondern auch der Gesellschaft, sagen Pharmamanager, weil der Patient länger arbeiten und Steuern bezahlen könne.
Kritiker kontern, das Prinzip von wertbasierten Preisen gefährde das solidarisch finanzierte Gesundheitswesen. Ein Menschenleben sei letztlich unbezahlbar.