SRF: Patrick Schünemann, kann man davon ausgehen, dass Firmen wie Coop oder Migros bei den gesammelten Kundendaten alles, was technisch möglich ist, auch auswerten?
Patrick Schünemann: Nein. Man geht schon sehr zweckgebunden vor. Man darf auch die Komplexität des technisch Möglichen nicht unterschätzen. Die Leute dort haben in der Regel gar nicht die Kapazitäten und die Zeit, das alles auszuprobieren. Primär geht es darum, die Warenverteilung und die Standortwahl zu unterstützen sowie in der Werbung einzelne Kundensegmente präziser ansteuern zu können.
Welche Auswertungen versprechen denn heute am meisten Gewinn?
Vor allem eine bessere Zielgruppen-Selektion. 80 Prozent des Erfolgs einer Marketingkampagne macht aus, dass ich die richtigen Leute zum richtigen Zeitpunkt adressiere – der Inhalt nur 20 Prozent. Wenn ich einige Prozent Streuverlust habe, dann kann das schnell einige hunderttausend oder sogar Millionen Franken ausmachen.
Kundendaten sind heute vielerorts ein grosses Geschäft. Die Schweizer Detailhändler betonen, dass sie keine Daten weitergeben. Kann man das überhaupt noch glauben?
Bei den Grossverteilern kann man das bestimmt glauben – wegen der möglichen Reputationsschäden. Allerdings muss man das Kleingedruckte in den Geschäftsbedingungen genau lesen. Da Grossverteiler heute eine Vielzahl kleinere Tochterfirmen unter ihrem Dach vereinigen, kann es schon sein, dass der angegliederte Elektronikladen oder der Weinshop auch Zugriff auf die Daten hat. Das muss aber transparent gemacht werden.
Gegen 80 Prozent aller Umsätze von Migros und Coop werden heute registriert. Dafür bekommen die Kunden Rabattbons oder können einen Teil ihrer Punkte an den Einkauf anrechnen lassen. Viel ist es aber meistens nicht, gemessen am Wissen, das die Detailhändler über sie erhalten. Verkaufen die Kunden ihre Daten nicht zu billig?
Im übertragenen Sinne vielleicht schon. Aber wir bekommen ja auch etwas zurück. Und wenn man sieht, wie fleissig die Kunden Cumulus und Supercard einsetzen, zeigt das ja, dass sie den Preis für ihre Daten für angemessen halten. Zudem kann ich als Kunde steuern, wann ich die Karte einsetze. Ich muss dem Laden ja nicht alle Einkäufe verraten, wenn ich das nicht will. Allerdings sind immer ausgefeiltere technische Methoden in der Entwicklung. Wenn diese einmal eingesetzt werden, verkaufen wir unsere Daten tatsächlich zu billig.
An was denken Sie da?
Die Karte wird immer häufiger durch Apps auf dem Smartphone ersetzt. Und die kann ich nicht mehr so einfach ausschalten. Mit speziellen Sensoren, so genannten Beacons, können meine Bewegungen im Laden verfolgt werden. Der nächste Schritt ist dann die Gesichtserkennung. Über Kameras werde ich gleich beim Eintritt in den Laden erkannt – und alle meine Bewegungen können verfolgt werden. Dazu braucht es dann nicht einmal mehr ein Smartphone im Sack.
Ist das Zukunftsmusik, oder stehen wir kurz davor?
Wir stehen kurz davor. Ich habe schon vor etwa 14 Jahren robuste Gesichtserkennungssoftware gesehen – und auch selber mitentwickelt. Solche Technologien werden im Sicherheitssektor bereits eingesetzt.
Welche anderen Entwicklungen bereiten Ihnen Sorgen, die in den nächsten 5-10 Jahren im Kundenmarketing auf uns zukommen werden?
Das Beängstigendste für mich sind Entwicklungen wie Google-Glass. Dann können nicht nur Firmen mich unbemerkt filmen, sondern jedermann, wo auch immer ich bin. Das sind Systeme, die für das kundenbezogene Marketing wichtig werden. Wenn mir ein Passant entgegen kommt und ich sein Hemd anschaue, dann wird mir eingeblendet, wo er es gekauft hat, was es kostet – und dass ich drei Strassen weiter im Laden gleich 10 Prozent bekomme, wenn ich es in den nächsten Stunden kaufe. Das sind Dinge, die heute bereits technisch möglich wären.
Sind solche Entwicklungen vom Datenschutz gut genug abgesichert?
Der Datenschutz hinkt generell immer der Technik hinterher. So gesehen entstehen immer wieder Lücken. Ich habe aber bisher bei den Schweizer Grossverteilern nie etwas gesehen, das ich als moralisch oder ethisch bedenklich taxieren würde. Man gibt sich Mühe, die Regeln einzuhalten. Aber der Datenschützer kann nicht Trendsetter sein; er kann auf technische Neuerung nur mit Verzögerung reagieren.
Einen ausführlichen Artikel zum Thema Big Data im Detailhandel finden Sie hier.