125 Jahre Rhätische Bahn: Hat irgendeiner der Beteiligten beim ersten Spatenstich geahnt, was aus der «Schmalspurbahn Landquart – Davos AG» dereinst werden würde? Das Bauprojekt, das mit dem feierlichen Akt am 29. Juni 1888 begann, sollte in den folgenden 25 Jahren durch 12 weitere Strecken ergänzt werden – mitsamt der Elektrifizierung des Netzes, die 1922 abgeschlossen war.
Die Pionierleistung brachte schon damals nicht nur die Arbeiter in der Höhe ins Schwitzen, sondern auch die Geldgeber, zu denen Financiers aus Basel gehörten. Heute sind aus dem ersten Projekt der Strecke Landquart – Davos insgesamt 384 Kilometer Fahrstrecke geworden, 103 Bahnhöfe, 606 Brücken, 115 Tunnel. Plus Stützmauern und weitere Schutzbauwerke, Telekom-Anlagen, Fahrleitungen, Stromversorgung und endlose Kabellinien … – was würde das alles heute eigentlich kosten?
Die Gleise
Obwohl die Rhätische Bahn mit ihrem einspurigen Netz nur wenige Kreuzungen und Doppelspuren hat, waren die Kosten für die Gleisanlagen immens. Christian Florin, Leiter Infrastruktur und stellvertretender Direktor des Unternehmens, kennt die Daten aus langjähriger Erfahrung und gibt den so genannten Wiederbeschaffungswert mit rund 900 Millionen Franken an – für 384 Kilometer Fahrstrecken sowie Abstellanlagen und Installationen in den Bahnhöfen, mit denen es insgesamt circa 540 Kilometer sind.
Die Brücken
Die 606 Brücken, die heute zum Inventar der Rhätischen Bahn gehören, schlagen mit rund 670 Millionen Franken zu Buche (siehe Box unten). Das bekannte Landwasserviadukt, das jährlich rund 22‘000 Züge überqueren, wurde von März 1901 bis Oktober 1902 für damals 280‘000 Schweizer Franken errichtet.
Würde man es heute bauen, so Florin, dann vermutlich als Spannbeton-Konstruktion und mit deutlich weniger Personal als den damals 60 Arbeitern – doch schneller ginge es nicht.
Kosten würde das Landwasserviadukt heutzutage etwa 7,5 Millionen Franken. Zum Vergleich: Als die Brücke 2009 instand gesetzt wurde, investierte das Unternehmen 4,65 Millionen.
Solche Kosten gehören übrigens zum Alltag der Rhätischen Bahn: 2008 waren mehr als 65 Prozent der Brücken in «schadhaftem» oder «schlechtem» Zustand; diese Bauwerke müssen in 25 bis 30 Jahren beziehungsweise in 5 bis 10 Jahren saniert werden. Seit 2004 erneut die Rhätische Bahn ihre Brücken nach und nach.
Die Tunnel
Etwa ein Fünftel der Strecken sind Kunstbauten, also Brücken oder eben Tunnel, die noch wertvoller sind. Die 114 Bauwerke mit einer Gesamtlänge von 59 Kilometern würden laut Florin heute rund 3 Milliarden Franken kosten. Allerdings hat sich die Kostenstruktur seit den Pionierzeiten drastisch verändert.
Beispiel Albulatunnel: Für das Bauwerk von 1909, das mit mehr als 5800 Metern Länge den Bahnhof Preda im Albulatal mit Spinas im Engadin im Süden verbindet, wurden seinerzeit stattliche 7 Millionen Franken bezahlt. An Spitzentagen waren 1600 Arbeiter vor Ort. Muskelkraft war gefragt, und angesichts der heutigen Tunnelbaumaschinen hätten die Fachleute damals grosse Augen gemacht.
Um die heutigen Kosten zu ermitteln, muss die Rhätische Bahn nicht auf Schätzungen zurückgreifen: Mit einem Neubau, parallel zum alten Tunnel und etwa gleich lang, soll noch im Sommer dieses Jahr begonnen werden. Die kalkulierten Kosten liegen laut Christian Florin bei etwa 290 Millionen Franken. Mitsamt dem Umbau des Albulatunnels I zum Sicherheitstunnel ab 2021 rechnet die Bahn laut ihrer Webseite mit 345 Millionen.
Die Geologie
Zu den Unwägbarkeiten bei Projekten wie der Rhätischen Bahn gehören die geologischen Verhältnisse, mit denen die Ingenieure es zu tun bekommen. Auch bei der Weströhre des neuen Gotthard-Basistunnels (Neat) sorgte eine Störzone aus lockerem Gestein im Frühjahr 2010 dafür, dass die Bohrmaschine wochenlang still stand.
Gleichwohl ist die Unsicherheit durch solche Überraschungen heute weit geringer als zu den Pionierzeiten – auch dank der sorgfältigen Aufzeichnungen der damaligen Konstrukteure. Ein Vorteil, der laut Christian Florin dazu führt, dass man kaum mehr böse Überraschungen erlebt und so wirtschaftlicher bauen kann.
Die Pioniere
Überhaupt verdanken die heutigen Betreiber den Altvorderen viel. Zum Beispiel Fachleuten wie dem deutschen Oberingenieur Friedrich Hennings, nach dem heute auch ein Zug der Rhätischen Bahn benannt ist: Er ersann die Streckenführung der Albulabahn und weitere Projekte, indem er die geologischen und topographischen Verhältnisse peinlich genau studierte und bei der Trassierung berücksichtigte.
Obwohl die Belastungen heute deutlich höher sind als zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts, so Florin, müssen die Bauwerke in der Regel statisch nicht verstärkt werden. Die Kosten für Sanierungen und Unterhalt entstehen eher durch einen Faktor, der schlicht unvermeidlich ist: die Witterung.
Und unterm Strich …
Was würde die Rhätische Bahn also kosten, wenn sie heutzutage neu errichtet würde? Die Antwort liefert Christian Florin aus dem letzten «Netzzustandsbericht» des Unternehmen: mit allen Infrastruktur-Anlagen summa summarum rund 9 Milliarden Franken.