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Dana Widmer Warum Live-Untertiteln Ultrasupermultitasking ist

Erfährt man, wie Untertitel für Live-Sendungen von SRF entstehen, bleibt nur eine Frage offen: Wer bekommt das hin? Dana Widmer, Respeakerin bei Swiss TXT, zum Beispiel. In ihrer Backstage-Kolumne erzählt sie mit Herzblut und Humor über die Herausforderungen des Untertitelns – inklusive Raterunde.

Dana Widmer an ihrem Arbeitsplatz
Legende: Dana Widmer macht das schier Unmögliche möglich: damit Hörbehinderte und Gehörlose Live-Sendungen mit Untertiteln verfolgen können. SRF / Oscar Alessio

«Guten Abend KOMMA liebe Zuschauerinnen und Zuschauer PUNKT Herzlich willkommen zu SRF Meteo PUNKT» – etwa so klingt es oft, wenn man bei uns von Swiss TXT im Studio Zürich Leutschenbach an den offenen Bürotüren vorbeigeht. Ein bisschen wie damals in der Primarschule beim Diktat. Und so ganz anders, als sich die meisten das Untertiteln vorstellen.

Wenn ich jemandem erzähle, dass ich Live-Untertitel für Hörbehinderte und Gehörlose für SRF erstelle, höre ich in den allermeisten Fällen: «Boa, dann kannst du ja sicher voll schnell tippen!» Da muss ich dann immer alle enttäuschen und beichten, dass ich eine ziemlich schlechte Tipperin bin.

«Ja, wie macht ihr das denn sonst?», ist meist die nächste Frage – und ich versuchs mal mit einer kurzen Antwort: Wir sprechen grundsätzlich alles, was in einer Live-Sendung gesprochen wird, nach (deshalb auch die Bezeichnung «Respeaker»). Dabei kommt eine Spracherkennungssoftware zum Einsatz, die das von uns Gesagte in Text umwandelt. Und diesen Text kann ich dann mittels Untertitelungsprogramm über den Sender schicken.

Das klingt jetzt erstmal gar nicht so wild, mag man sich denken. Aber was, wenn ich ergänze, dass mich die Spracherkennungssoftware verstehen lernen muss? Dass ich ihr Wörter beibringen muss? Ihr sagen muss, wie ich was ausspreche? Dass das Ganze quasi simultan passiert, also gleichzeitig zum Live-Ton, der gerade gesendet wird? Und dass ich dabei die Interpunktion einfügen muss, also den von mir nachgesprochenen Satz grammatikalisch analysiere und die richtigen Satzzeichen setze? Dass ich den angezeigten Text auf Fehler durchlesen und allenfalls korrigieren muss, bevor ich ihn «sende»?

Und nicht vergessen: Dabei läuft der Originalton weiter.

Kurz: Ultrasupermultitasking.

Video
Aus Videoarchiv: Dana Widmer untertitelt live eigenes Interview
Aus Hallo SRF! vom 13.10.2017.
abspielen. Laufzeit 8 Minuten 50 Sekunden.

Es ist wohl kein Zufall, dass bei uns auf der Redaktion viele ausgebildete Konferenzdolmetscherinnen arbeiten – ich bin eine davon. Tatsächlich ist Respeaken dem Simultandolmetschen sehr ähnlich, natürlich vor allem wegen des simultanen Charakters und des Multitaskings. Aber je nach Sendung empfinde ich Simultandolmetschen wirklich als einfacher als Respeaken, denn beim Respeaken kommen Aufgaben hinzu, die es beim Dolmetschen nicht gibt.

So muss ich mir an einer Konferenz zum Beispiel nicht überlegen, wie man Namen schreibt, ich kann sie einfach so wiederholen, wie ich sie gehört habe. Beim Respeaken hingegen läuft im Kopf im Hintergrund immer ein «Datenabgleich» ab: Hab ich dem System diesen Namen beigebracht, also kann ich ihn einfach nachsprechen? Oder weiss ich, dass ich diesen Namen eben nicht erfasst habe und ihn deshalb eintippen muss? Wenn ja, wie schreibt man denn diesen verflixten Namen richtig? Diese Denkprozesse fallen beim Simultandolmetschen weg. Zudem muss ich da nicht auch noch gleichzeitig an die Satzzeichen denken und laufend einen Text korrigieren …

Bildschirm der Respeakerin
Legende: Swiss TXT untertitelt für SRF mehr als die Hälfte der Fernsehsendezeit – über 13’000 Stunden pro Jahr. Dazu gehören sämtliche Sendungen zwischen 19 und 22 Uhr auf SRF 1, die Hauptabendsendung auf SRF zwei, die Filme am Samstagabend bis 1.30 Uhr, Live-Sendungen am Wochenende ab Mittag sowie alle Live-Übertragungen besonderer Bedeutung. SRF / Oscar Alessio

Ich will hier jetzt aber nicht noch weiter ins Technische gehen, denn es ist fürs Respeaken kein Muss, Dolmetscher:in zu sein. Vielmehr scheint es einfach, als brauche es eine gewisse Veranlagung zum Multitasking, um das Respeaken zu erlernen und (so gut es geht) zu beherrschen.

Viel spannender (und auch witziger) finde ich unseren Redaktionsalltag, daher hier ein kurzer Einblick:

Zuerst muss ich vielleicht festhalten, dass wir Sendungen ohne Live-Passagen nicht mittels Respeaking untertiteln. Diese Technik ist wirklich nur für Live-Sequenzen gedacht (mit zwei Ausnahmen, auf die ich gleich noch zu sprechen komme). Alle anderen Untertitel werden tatsächlich so erstellt, wie man sich das gemeinhin so vorstellt: via Tastatur. Filme und Serien werden zum Beispiel eine Weile im Voraus verarbeitet, jeder Untertitel wird dabei mit einem Timecode versehen. Die Untertiteldatei wird dann «angehängt», will heissen, sie wird im Sendesystem hinterlegt und automatisch mit dem jeweiligen Film ausgestrahlt.

Sendungen, die kurzfristiger entstehen und daher eine solche Detailbearbeitung nicht zulassen, werden «semi-live» ausgestrahlt. Das bedeutet, dass wir vorab erstellte Untertitel via Tastendruck einzeln live, parallel zur Sendung rausschicken. Dies betrifft auch Sendungen, die Live-Passagen enthalten können, aber nicht ausschliesslich live sind, etwa die «Tagesschau», «Schweiz aktuell», «10vor10», «Kassensturz», «Puls», «Rundschau» oder auch Unterhaltungssendungen.

Ihr Themenvorschlag

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Worüber möchten Sie eine Backstage-Geschichte lesen? Schreiben Sie uns. Die meistgenannten Themen werden wir umsetzen und hier veröffentlichen.

Die oben erwähnten Ausnahmen: «Club» und «Arena». Diese beiden Sendungen werden von SRF zwar voraufgezeichnet, jedoch nur wenige Stunden vor der Ausstrahlung, sodass ein Timen und Anhängen nicht möglich ist. Um die Untertitelerstellung dennoch effizient zu gestalten, beginnen wir schon wenige Minuten nach Aufzeichnungsbeginn mit dem Respeaken. Wir speichern die Sequenzen laufend ab, eine Teamkollegin prüft sie auf Fehler und bringt sie in die endgültige Form. Diese beiden Sendungen werden daher ebenfalls semi-live gesendet (ja, da sitzt auch von uns noch jemand bis 23.45 Uhr im Büro!).

Ich hatte weiter oben Witziges versprochen, ich weiss. Also: Stellt euch vor, ihr seid für die Schicht «Eurovision Song Contest» eingeteilt und müsst euch auf euren Einsatz vorbereiten. In unserem Fall bedeutet das, dass wir Vokabularlisten erstellen und ins System einspeisen. Dazu haben wir für jede Sendungskategorie ein eigenes Sprachprofil. Bei mir gibts je eines für News und Politik, für Unterhaltungssendungen, für «SRF Meteo» und verschiedene für Sport (Motorsport, Ballsport, Wintersport etc.). Gut. Für so eine musikalische Unterhaltungssendung fallen ja schon mal ganz viele Namen und Songtitel an, die nicht Deutsch sind. Autsch. Denn: Unsere Spracherkennungssoftware (die übrigens Dragon NatuallySpeaking heisst und von uns liebevoll «de Drache» genannt wird) versteht nur Deutsch.

Respeakerin Dana Widmer und «de Drache», der es faustdick hinter den Ohren hat
Legende: Respeakerin Dana Widmer und «de Drache», der es faustdick hinter den Ohren hat: Seine Übersetzungen bringen das Untertitelungsteam mitunter gehörig zum Lachen – oder aus dem Konzept … SRF / Oscar Alessio

Füttere ich das Ding also mit einem Wort, versteht es das letztlich nur, wenn ich es gemäss deutscher Ausspracheregeln ins Mikrofon spreche. Daher müssen wir bei nicht-deutschen Namen/Begriffen eine phonetische Schreibweise hinterlegen, was dann zu solchen Augenweiden wie «Uittnej Juusten», «Äi Uill Oluejs Lof Ju» oder «Tschämpjennslieg» führt. Das ist mal das eine.

Und weil uns der Drache eben manchmal auch nicht so ganz recht verstehen will, wird er hin und wieder etwas eigenwillig und reimt sich selbst etwas zusammen. So ist Dragon gerne auch mal ein Schlitzohr, weshalb es sich stark empfiehlt, im Eishockeyprofil das Wort «Scheide» aus dem Standardvokabular zu löschen (weil klingt ja wie «Scheibe»), und beim Fussball das Wort «Nazi» (weil Schweizer … – genau). Und auch sonst ist der Drache ein Schelm …

Kleine Raterunde gefällig?

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Was hätten die fettgedruckten Wörter in den nachfolgenden Sätzen wohl jeweils eigentlich heissen sollen?

  1. «Zur Festvorbereitung war man die ganze Woche mit zwei Baggern im Einsatz, um das Gelände von all den Grimassen zu befreien.»
  2. «Er hatte einen idiotischen Pass dabei.»
  3. «Unser Marathon-Experte ist Viktor Blödsinn
  4. «Liebesspiele kommen noch auf sie zu.»
  5. «Sebastien Reuille ist richtiggehend aufgebläht in diesen Playoffs.»

Hier gibts die Lösungen (bitte anklicken)

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  1. Geröllmassen
  2. zypriotischen
  3. Röthlin
  4. Sieben Spiele
  5. aufgeblüht

Der Drache sorgt bei uns also regelmässig für spontane Lachanfälle – gar nicht so einfach, während des Respeakens mit all seinen multiplen Tasks dann noch das Lachen zu unterdrücken! Wenns hart auf hart kommt, ist man aber zum Glück nie alleine, da wir Live-Sendungen immer mindestens zu zweit untertiteln. So wechseln wir uns auch etwa alle 20 Minuten ab, weil unsere Tätigkeit eine hohe Konzentration erfordert, die nach jeweils 20 bis 30 Minuten erschöpft ist (wieder eine Parallele zum Simultandolmetschen, übrigens).

Uns Respeaker:innen braucht es ja nur für Sendungen, die Live-Anteile haben, und deshalb orientiert sich unser Einsatzplan am TV-Programm. Ich beginne meine Arbeit wochentags eigentlich nie vor 17 Uhr, dafür bin ich dann meist bis 22 oder fast 23 Uhr im Büro. Und an Wochenenden kanns unter Umständen auch schon um 8 Uhr losgehen (Skisaison lässt grüssen). Später wirds manchmal auch, wenn gerade eine Unterhaltungssendung à la «Happy Day» ansteht.

Warum ich mir diesen Stress antue? Endlich mal eine Frage, die sich wirklich leicht beantworten lässt: Weil wir mit unserer Arbeit tagtäglich versuchen, für mehr Barrierefreiheit zu sorgen. Weil jede und jeder das Recht hat, via Medium Fernsehen an der Gesellschaft teilzuhaben. Das macht unsere Arbeit wert- und vor allem sinnvoll. Und ich bin stolz darauf, Teil eines so vielfältigen und herzlichen Teams zu sein.

Was leistet SRF für Sinnesbehinderte?

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Ab 2019 erhöht SRF den Anteil untertitelter Fernsehzeit von 50 auf 65 Prozent. Swiss TXT baut dafür das Respeaking massiv aus. Neu zum Angebot gehören dann:

  • «Tagesschau am Mittag»
  • Live-Sport täglich zwischen 8 und 24 Uhr
  • alle Sendungen von 18 bis 20 Uhr

Untertitelungen und noch viel mehr: SRF erleichtert Menschen mit Hör- oder Sehbehinderung die Teilhabe am TV-Angebot auch durch audiodeskribierte und gebärdete Inhalte. Ausserdem sorgt SRF für barrierefreie Webseiten. Mehr zum Angebot für Sinnesbehinderte.

«Hallo SRF!» hat viele Gesichter

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Und alles im Überblick gibts hier: srf.ch/hallosrf.

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