Das SRF-News- und Sportcenter, an einem verregneten Sonntagabend um 21 Uhr. Nachrichtenredaktorin Livia Schmid trifft soeben mit hastigen Schritten ein, dabei ist sie überpünktlich. Sie will noch rasch einen Imbiss besorgen, bevor sie sich vor Schichtbeginn Zeit nimmt, einige Fragen über ihre Arbeit zu beantworten.
Im kleinen 24-Stunden-Shop ist die Auswahl um diese Uhrzeit beschränkt. Aber die gebürtige Appenzellerin ist nicht wählerisch. «In der Nacht brauche ich etwas mehr Energie als den Tag durch.»
Einige Zeit arbeitete Livia Schmid ausschliesslich in der Nacht. «Ich wurde vor zweieinhalb Jahren als Nachtredaktorin eingestellt.» Mittlerweile nehme sie aber auch alle anderen Schichten wahr – von den Früh- bis zu den Abendschichten.
Das Mitverfolgen der News gehört dazu. Ich muss wissen, welche Themen am Tag bewegt haben.
Die studierte Literatur- und Kommunikationswissenschaftlerin arbeitet indes sehr gerne in der Nacht. «In dieser Zeit trage ich viel Verantwortung, weil ich viele publizistische Entscheide selbstständig treffe und das gefällt mir.» Die Vorbereitungen dafür startet die Redaktorin bereits, wenn die Sonne noch am Horizont steht. «Das Mitverfolgen der News gehört dazu. Ich muss wissen, welche Themen am Tag bewegt haben.»
So richtig los geht es für Livia Schmid aber um 22.10 Uhr, wenn ihre Nachtschicht offiziell beginnt. Um diese Zeit ist das News- und Sportcenter noch belebt. Ihr gegenüber sitzen ihre Kolleginnen und Kollegen von der Abendschicht. Deren Dienst endet um 22.40 Uhr.
Jede halbe Stunde live
Die Nachtredaktorin wirft zunächst einen Blick in das Programm «Open Media», in dem sich sämtliche Audiobeiträge sowie Agenturmeldungen für die Nachrichten befinden. Meldungen über die Hochwasserlage in der Schweiz, Österreich und Deutschland. Eine Sportmeldung zur Champions League. Das Wetter von morgen.
Livia Schmid sichtet die weitere Agenturmeldungen, sucht zusätzliche Quellen dazu und formuliert entsprechende Meldungen. Gleichzeitig behält sie wichtige Newsseiten im Auge: etwa CNN, New York Times, Neue Zürcher Zeitung, Tagesanzeiger, Al Jazeera. Ihre erste Aufgabe für heute: die 23-Uhr-Nachrichten für Radio SRF vorzubereiten. Danach wird sie jede halbe Stunde die neusten News am Sender moderieren.
«Eigentlich hatte ich lange Mühe, vor anderen Leuten zu sprechen», sagt die Redaktorin über sich. Noch im Studium habe sie sich deshalb dafür entschieden, beim Studierendenradio zu arbeiten. «Als Expositionstherapie sozusagen.» Ein Entscheid mit Folgen. Livia Schmid fing Feuer und blieb dem Radiojournalismus seither treu. Bevor sie im Oktober 2021 zu SRF stiess, arbeitete sie einige Jahre beim Lokalradio Radio Freiburg.
Zeit für die Übergabe
Es ist 22.20 Uhr. Produzent Michael Wettstein kommt mit der Übergabe für die Nacht. Gemeinsam checken sie die aktuellen Beiträge in «Open Media». «Der Polizist in Mannheim ist gestorben.» Auch Redaktionskollegin Corina Heinzmann hat eine Info für sie. «Es gab noch einen Schweizer Rekord an der Diamond League in Schweden.»
Livia Schmid haut in die Tasten. In Windeseile verifiziert und vertextet sie die Meldungen in «Open Media». Die Meteo-Meldung, die stichwortartig verfasst ist, schreibt sie in ganze Sätze um. Den Schweizer Rekord muss sie noch erfassen. Das System zeigt ihr dabei an, wie viel Sprechzeit ihr Text in Anspruch nehmen wird. «Das Programm kennt mein Sprechtempo und berechnet, wie lange ich für diese Meldung in etwa haben werde.»
Der ominöse rote Knopf
Mittlerweile ist auch der Kollege vom Teletext eingetroffen. Michel Schuler und Livia Schmid halten über die Nacht gemeinsam die Stellung, bis um 4 Uhr die ersten Redaktorinnen ihre Arbeit wieder aufnehmen. «Wir helfen uns gegenseitig aus, wenn wir eine publizistische Einschätzung benötigen», sagt Livia Schmid.
Sollte sich eine grössere Katastrophe ereignen, werden wir über das Notfallsystem Icaro benachrichtigt.
Es ist 22.26 Uhr. Plötzlich beginnen die dreifarbigen Signallampen über den Pulten orange zu blinken. Es ist das Zeichen, dass die nächste Nachrichtensendung ansteht. Um zu zeigen, dass die Erinnerung wahrgenommen wurde, müssen die Redaktoren nun zeitnah reagieren. Dafür befindet sich auf jedem Tisch ein roter Knopf, der aussieht, als wäre er für einen nuklearen Notfall designt worden. Wer nicht rechtzeitig auf den Knopf drückt, wird kurz darauf mit einem akustischen Signal ein zweites Mal erinnert.
«Sollte sich eine grössere Katastrophe ereignen, werden wir über das Notfallsystem Icaro benachrichtigt, auch dann blinken Signallampen», klärt Livia Schmid auf. In einem solchen Fall ist sie gemäss Versorgungsauftrag der SRG SSR dazu verpflichtet, via Radio die Bevölkerung zu informieren. In ihrer Zeit als Nachtredaktorin bei SRF sei dies allerdings erst einmal vorgekommen.
Die heisse Phase
Viel häufiger dagegen sind Newsmeldungen, die in der Nacht reinkommen. Ereignisse, an die sie sich besonders erinnere, gebe es ein paar: Sie habe im Juni 2023 gearbeitet, als die Wagner-Gruppe ihren Marsch auf Moskau begann. Und im April dieses Jahres etwa gab es den ersten Raketenangriff Irans auf Israel. In solchen Fällen spricht Livia Schmid das publizistische Vorgehen mit dem Chef oder der Chefin vom Dienst ab und versucht, O-Töne für die Nachrichtensendung einzuholen.
Kurz vor 23 Uhr. In wenigen Sekunden ist Livia Schmid auf Sendung. Ab jetzt startet die heisse Phase ihrer Nachtschicht, denn im Anschluss gilt es, die Nachrichten um Mitternacht und um 0.30 Uhr morgens vorzubereiten. Diese Sendungen sind mit sechs Minuten doppelt so lange wie die vorangegangenen.
Und auch danach lässt der Feierabend (oder -morgen?) auf sich warten. Soweit möglich, bereitet die Nachtredaktorin die Morgensendung bereits vor. Schichtende ist erst um 5.40 Uhr. Bis dann beginnen sich die Arbeitsplätze im News- und Sportcenter wieder zu füllen. Livia Schmid freut sich darauf, erstmal zu schlafen. «Und dann habe ich den ganzen Tag zur freien Verfügung, das ist super!»