Im Fleischverarbeitungs-Betrieb der Migros in Bazenheid herrschen fragwürdige Arbeitsbedingungen. Micarna ist der zweitgrösste Fleischverarbeitungs-Betrieb in der Schweiz und beschäftigt mehr als 2700 Mitarbeiter. «Kassensturz» hat mit ehemaligen Mitarbeitern, mit jetzigen Angestellten und mit der Gewerkschaft geredet. Die Recherchen belegen schwere Vorwürfe:
- Viele Mitarbeiter halten dem Druck der Fliessbandarbeit nicht mehr stand und werden krank.
- Etlichen Mitarbeitern, die körperlich und psychisch krank wurden, kündigte Micarna, weil sie nicht mehr schnell genug arbeiten konnten.
- Gewerkschaften kritisieren, dass Kranke aussortiert würden, gleichzeitig aber Temporär-Arbeiter aus Osteuropa zum Einsatz kommen.
- Micarna nimmt im Interview Stellung und betont, die neuen Abläufe seien eine Verbesserung. Ausserdem habe man intern viele Meldestellen, wo sich Mitarbeiter mit ihren Problemen hinwenden könnten.
Fliessband-Tempo wurde erhöht
In der Zerlegerei des Migrosbetriebs Bazenheid werden Schweinehälften am Fliessband zerlegt. Mehrere Mitarbeiter bestätigen «Kassensturz», dass das Tempo des Fliessbands mit der Inbetriebnahme einer neuen Anlage vor zwei Jahren massiv erhöht wurde. Früher seien 140 Schweine pro Stunde zerlegt worden. Heute würden 220 Schweine pro Stunde zerklinert. Die Micarna spricht aber von maximal 170.
Tatsache ist: Viele halten dem Druck nicht mehr stand. So zum Beispiel der ehemalige Micarna-Angestellte A.B. Er hat zwei Jahre beim Fleischverarbeitungs-Betrieb der Migros in Bazenheid gearbeitet. Dann bekam er Probleme mit den Händen. «Nach einem Jahr arbeiten bei Micarna hatte ich chronische Schmerzen in beiden Händen. Dazu kam das hohe Arbeitstempo am Fliessband», erklärt A.B im «Kassensturz». Im letzten Jahr musste er sich operieren lassen. Micarna hat ihn darauf entlassen. Weil er nicht mehr schnell arbeiten konnte.
Auch C.D. arbeitete in der Micarna. Nach mehr als vier Jahren erhielt auch er die Kündigung, als er an einem Burnout erkrankt war. C. D. kritisiert die Arbeitsbedingungen in der Abteilung: Das Zerlegeband sei viel zu schnell gelaufen. Für die Mitarbeiter sei das unerträglich gewesen: «Ich konnte die Pause und den Feierabend kaum erwarten. So ist es vielen ergangen,» erzählt er in der Sendung «Kassensturz».
Gewerkschaft: Kranke werden aussortiert
Nach drei Jahren in der Zerlegerei wurde er krank, er konnte nicht mehr schlafen. Mitten in der Behandlung in einer pyschiatrischen Klinik erhielt er die Kündigung.
«Mein Wunsch wäre eine Standortbestimmung gewesen, und dass ich doch noch eine Chance bekommen hätte an einem Arbeitsplatz. Ich meine, ich habe meine Arbeit immer gut gemacht. Bis zum Schluss», sagt C.D.
Krank wegen der Arbeit: «Kassensturz» trifft mehrere ehemalige Mitarbeiter der Micarna-Zerlegerei. Sie alle möchten anonym bleiben. Sie bestätigen die geschilderten Zustände. In der Zerlegerei herrscht ein grosser Druck. Auch sagen sie, dass das Fliessband-Tempo massiv erhöht wurde. «Kassensturz» weiss, in den letzten Jahren sind mehrere Micarna-Mitarbeiter an einem Burnout erkrankt und wurden darauf entlassen.
Viele Temporär-Arbeiter aus dem Ausland im Einsatz
Was viele verletzt: Micarna biete Ihnen nicht ernsthaft eine andere Arbeit an. Das kritisiert auch die Gewerkschaft Unia. Gewerkschafterin Anke Gähme fordert, dass ein Betrieb wie Micarna kranken Mitarbeitern eine Chance gibt und diese nicht einfach aussortiert.
Die Branche setzt gemäss der Gewerkschaft immer mehr ausländische Temporär-Arbeiter ein. Sie kommen aus Osteuropa, aus Ungarn beispielsweise. Gewerkschafterin Anke Gähme beobachtet, dass die ganze Fleischverarbeitungs-Branche immer mehr Temporär-Arbeiter einsetzt auf Kosten von festangestellten Mitarbeitern. Die Vorteile liegen auf der Hand: «Die Firmen zahlen sie nur für diese Zeit und können sie dann sehr schnell wieder los werden. Die Temporärfirma übernimmt das Einstellungsverfahren, man muss sich nicht um Pensionskassen-Sachen kümmern.»
Minusstunden wegen hohem Tempo
Ein Hohn für die betroffenen Mitarbeiter: Auf Imagefilmen und wenn offizieller Besuch erscheint, wird ein geschönigtes Bild vermittelt. Das Zerlege-Förderband lief dann langsamer, bestätigen Mitarbeiter im «Kassensturz»: «Wenn das Band langsamer zu laufen begann, wusste man: Es muss Besuch kommen. Und wenn der wieder weg war, dann lief das Band noch schneller als vorher. Wir mussten die Zeit und Mengen einholen, die man vorher verpasste.»
Besonders ungerecht empfinden etliche Mitarbeiter das System der Minusstunden. Wenn weniger Arbeit da ist, wird nicht etwa das Band langsamer laufen gelassen, sondern die Arbeiter werden früher nach Hause geschickt. Die Minusstunden müssen dann nachgeholt werden. «Kassensturz» liegt eine Lohnabrechnung eines Mitarbeiters vor. Bei ihm wurde das Minus im Zeitsaldo beim Austritt vom Lohn abgezogen.
Ist das alles legal? Arbeitsrechtsexperte Georges Chanson räumt ein, dass es in der Schweiz keinen starken Kündigungsschutz gibt. Man könne unter Einhaltung der Sperrfristen auch kranke Mitarbeiter entlassen. Aber Mitarbeiter zu Minusstunden zwingen und beim Austritt dann vom Lohn abziehen, das geht nicht. «Das ist ein Verstoss gegen die Regel, dass der Arbeitgeber das Betriebsrisiko trägt, dass er auch dann Lohn bezahlen muss, wenn er keine Arbeit hat», sagt Georges Chanson.
Das sagt Micarna zu den Vorwürfen
Im Interview mit «Kassensturz»-Moderator Ueli Schmetzer räumt Albert Baumann, Unternehmensleiter der Micarna, ein, dass die Arbeit in der Zerlegerei ein knochenharter Job sei. Und weiter: Wenn ein Mitarbeiter wegen Krankheit entlassen worden sei, dann sei etwas falsch gelaufen.
Das normale Vorgehen sei:
- «Es gibt interne Stellen, wo sich Mitarbeiter melden können,
- Wenn ein Mitarbeiter nach Krankheit nicht mehr an den Arbeitsplatz zurückkehren kann, dann wird eine Lösung gesucht.»
Auf die Kritik zum erhöhten Tempo vom Fliessband entgegnet er:
«Die neue Zerlegerei hat eine grössere Leistung, aber die neuen Arbeitsplätze sind ergonomischer als früher. Viele langjährige Mitarbeiter haben kein Problem damit und die Absenzquote ist tiefer als vorher. Die neue Zerlegerei wurde zusammen mit der Suva und der Swica entwickelt.»
Zur Frage nach der Ursache von Minusstunden führt Albert Baumann aus:
«Das ist ein saisonales Geschäft, im Frühling entstehen Minusstunden, die sich im Lauf vom Jahr dann ausgleichen. Wenn Mitarbeiter mit Minusstunden ein Problem haben und die Micarna einen Fehler gemacht hat, dann werde das ausgeglichen.»