Wer nicht kuscht, muss gehen. Das scheint das Motto beim Kioskbetreiber Valora zu sein. Bei den Gewerkschaften landen immer mehr Dossiers von gekündigten Valora-Mitarbeitenden, sagt Carlo Mathieu von Syna im «Kassensturz»: «In letzter Zeit haben die Beschwerden zugenommen. Es geht vor allem um die Entlassungen von älteren Leuten, und zwar auf eine sehr unfaire Weise.» Im letzten Jahr gingen bei Syna rund 60 Meldungen von Mitarbeitenden ein, die rechtliche Probleme mit Valora geltend machten.
Das Risiko auf die Kioskfrauen abgewälzt
Viele Beschwerden stehen im Zusammenhang mit der Umwandlung von Kioskfilialen zu Agenturen. Der Konzern drängt die Mitarbeiterinnen in die Selbständigkeit, sie sollen ihren Kiosk auf eigenes Risiko führen. Die Angestellten müssen 20'000 Franken Startkapital für die Gründung einer GmbH mitbringen. Die Ware beziehen sie von Valora und erhalten eine Umsatzprovision, arbeiten aber auf eigenes Risiko. Das Konzept ist sehr umstritten und wird von Gewerkschaften und von Arbeitsrechtlern kritisiert.
Jolanda Berglas leitete jahrelang einen Bahnhofskiosk, bis Valora Druck auf sie ausübte, die Filiale auf eigenes Risiko zu führen. «Ich sagte, gut ich mache das, bevor meine Stellvertreterin und ich den Job verlieren. Ich wusste ja, dass mein Kiosk gut läuft.»
Inakzeptable Bedingungen
Doch statt eines Agenturvertrages erhielt Berglas eine Änderungskündigung. Darin bot ihr Valora eine Mini-Filiale zu viel weniger Lohn an. Die erfahrene Kioskfrau lehnte enttäuscht ab: «Das war ein Schlag in den Magen.» Sie hätte weiterhin 43 Stunden pro Woche gearbeitet, aber pro Monat fast 900 Franken weniger verdient. «Ich konnte diesen Vertrag unmöglich annehmen.»
Bei Angestellten und Gewerkschaften wächst der Unmut über das Agentursystem von Valora. Man wolle damit die Verantwortung auf die Mitarbeitenden abwälzen. Die unternehmerische Freiheit fehle aber, da die Agenturleiter von Valora abhängig seien, erklärt Carlo Mathieu.
Zu diesem Schluss kommt auch ein neues Gutachten: Arbeitsrechtsprofessor Thomas Geiser von der Universität St. Gallen verfasste dazu eine Studie im Auftrag der Gewerkschaft Syna: «Die Valora macht viele Vorgaben und damit wird die unternehmerische Selbständigkeit so stark eingeschränkt, dass man nicht mehr von einer unternehmerischen Tätigkeit sprechen kann.»
«Valora betreibt Scheinselbstständigkeit»
Er wirft Valora vor, das System eine Art von Scheinselbständigkeit. In seinem Gutachten hält er fest: «Die Kriterien für einen Agenturvertrag sind nicht erfüllt.» Und: «Das hauptsächliche Geschäftsrisiko liegt beim Agenten.» Zudem würden die Agenturleiter weder Arbeitslosenversicherung, Lohnfortzahlung bei Krankheit noch eine berufliche Vorsorge erhalten.
Vor der Kamera will sich Valora zu den Vorwürfen nicht äussern. Der Konzern schreibt «Kassensturz»: «Unser Agentursystem wurde rechtlich sorgfältig geprüft und stellt unseres Erachtens keine Scheinselbständigkeit dar.»
So hält Valora weiterhin an ihrer Geschäftspraxis fest. Wer nicht mitmacht, bekommt die Kündigung. Für Joalnda Berglas bleiben nur noch die Erinnerungen an «ihren» Kiosk: «Nach 40 Jahren Arbeiten stand ich einfach da und wusste nicht, was tun. Man hat mir einen grossen Teil meines Lebens einfach genommen. Und jetzt ist eine grosse Leere da.»
Betrogen und entlassen
Doch nicht nur das zweifelhafte Agentursystem von Valora gibt Anlass für Beschwerden. Auch knallharte Entlassungen von langjährigen Mitarbeitern häufen sich. Getroffen hat es zum Beispiel Monika Koller. Sie hat 16 Jahre bei Valora als Kioskfrau gearbeitet. Nun hat Valora ihr gekündigt – wegen 450 Franken.
Der Grund: Monika Koller fiel Betrügern zum Opfer. Während der Arbeit bekam sie einen Anruf von einer angeblichen Valora-Mitarbeiterin. Diese forderte von der Kioskfrau sogenannte Paysafe-Pincodes. Was Monika Koller nicht wusste: Am anderen Ende des Drahtes sassen Gauner. Sie zapften dem System anschliessend 450 Franken ab.
Einige Monate zuvor warnte Valora alle Mitarbeitenden. Wer auf solche Betrüger reinfalle, dem drohe die Entlassung. Und so war es dann auch: Sie bekam umgehend die Kündigung und einen Einzahlungsschein über 450 Franken. Ihr «grobfahrlässiges Verhalten» habe einen «erheblichen Schaden» verursacht. Diese 450 Franken schmerzen, denn mit einem 70-Prozent-Pensum verdient die Kioskfrau nur rund 2300 Franken. Damit das Geld zum Leben reicht, muss sie zusätzlich als Putzfrau arbeiten.
Eine Kündigung wegen 450 Franken! Monika Koller ist verzweifelt: «In 16 Jahren habe ich einen einzigen Fehler gemacht. Ich verstehe es bis heute nicht.»