Post-Angestellte wollen einem Schwerstbehinderten die SIM-Karte nur gegen Unterschrift aushändigen. Unterschreiben kann der gelähmte Muskelkranke jedoch nicht. «Kassensturz» konfrontiert die Post mit ihrem diskriminierenden Verhalten. Denn Menschen mit einer Behinderung dürfen im Alltag nicht benachteiligt werden.
Ein Einzelfall? Im «Kassensturz»-Interview ordnet Caroline Hess-Klein von Inclusion Handicap, dem Dachverband der Schweizer Behindertenorganisationen, den Sachverhalt ein:
«Kassensturz»: Frau Hess-Klein, was sagen Sie zu diesem Fall?
Caroline Hess-Klein: Die Post und auch UPC haben ihre rechtlichen Verpflichtungen verletzt. Aufgrund des Behindertengleichstellungsgesetzes hätten sie ganz klar ihre Dienstleistungen so anbieten müssen, dass Herr Bucher und mit ihm alle anderen behinderten Menschen sie in Anspruch nehmen können.
Beide Unternehmen haben sich entschuldigt. Reicht das?
Das ist ein Anfang, reicht aber mit Sicherheit nicht. Die Firmen müssen sich anpassen und sicherstellen, dass so etwas in Zukunft nicht mehr passiert.
Was können Menschen mit Behinderungen und auch Behindertenorganisationen in einem solchen Fall tun?
Das Gesetz gibt Menschen mit Beeinträchtigung die Möglichkeit, ihre Rechte vor Gericht geltend zu machen. Herr Bucher hat sich gewehrt, er kam zu «Kassensturz» und hat damit etwas bewirkt. Doch das braucht Energie, und diese Kraft bringen nicht alle auf. Deshalb ist es so wichtig, dass die Verbände die Möglichkeit haben, diese Rechte einzufordern. Man muss aber sagen, dass die Behinderten bisher sehr wenig von diesem Instrument Gebrauch gemacht haben. Sie sind zu zurückhaltend. Auch das muss sich in Zukunft ändern.
Die Geschichte von Herrn Bucher ist kein Einzelfall. Haben Sie weitere Beispiele aus dem Alltag von behinderten Menschen? Wo stossen sie an?
Denken wir an Treppen, die Menschen im Rollstuhl daran hindern, autonom am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Auch fehlende Markierungen am Boden, was blinden Personen die Orientierung verunmöglicht. Oder Schwimmbäder, die sich weigern, Menschen mit geistiger Behinderung eintreten zu lassen, geschehen im Kanton Appenzell.
Durfte die Person anschliessend das Schwimmbad betreten?
Nein. Hier unterscheidet das Gesetz zwischen Bundesunternehmen, Unternehmen in einem Monopolbereich und privaten Unternehmen. Im Falle des Schwimmbades stellte das Gericht zwar fest, dass das eine verbotene Diskriminierung ist, konnte aber aufgrund des Gesetzes das Bad nicht dazu verpflichten, in Zukunft anders zu handeln.
Das klingt absurd. Was bringt denn das Behindertengleichstellungsgesetz überhaupt?
Es hat sicher einen Perspektivenwechsel gebracht, insofern, dass eine Behinderung nicht mehr als individuelles Problem betrachtet wird, sondern als Problem der Umwelt, die sich anpassen muss. Das Gesetz sagt: Behinderte Menschen sind gleichberechtigte Mitglieder unserer Gesellschaft und müssen entsprechend behandelt werden. Aber das Gesetz ist nicht perfekt. Nächstes Jahr wird die Schweiz vom Uno-Ausschuss überprüft, der sicherstellt, dass die Staaten die Behindertenkonvention einhalten. Ich bin überzeugt, dass die Schweiz gerügt werden wird und dass es heissen wird, dass der Schutz von Personen mit Behinderung nicht ausreicht.
Ist die Schweiz also rückständig im Vergleich zu den umliegenden Staaten?
Was den Zugang zu Dienstleistungen von privaten Unternehmen angeht, ja.
Das Interview führte Kathrin Winzenried.