Vier «Kassensturz»-Leute ernähren sich während einer Woche ausschliesslich mit konventionellen Lebensmitteln. Danach stellen Moderatorin Kathrin Winzenried und ihre drei Redaktionskollegen auf Bio-Nahrung um: Zugelassen sind jetzt für zehn Tage einzig Esswaren und Getränke von Bio-Suisse, Migros-Bio und Demeter.
Während des Selbstversuchs nehmen die vier Probanden an mehreren Tagen Urinproben. Im Auftrag von «Kassensturz» untersucht das unabhängige schwedische Institut für Umweltforschung IVL die Urinproben auf Pestizidrückstände. Forschungsleiter Jörgen Magnér hat Erfahrung auf diesem Gebiet: Vor einem Jahr führte er ein ähnliches Experiment mit einer schwedischen Familie durch. «In den Urinproben der schwedischen Familie haben wir erstaunlich hohe Mengen an Pestizidrückständen während der konventionellen Nahrung gefunden», erklärt der Umweltchemiker. «Als die Familie dann auf Bio-Nahrung umgestellt hatte, sanken diese Werte massiv.»
Glyphosat in Schweizer Proben
In den Schweizer Proben findet das Labor tiefere Pestizid-Konzentrationen als in der schwedischen Studie – das ist die gute Nachricht: «Offensichtlich befinden sich in Schweizer Nahrungsmitteln weniger Pestizide als bei uns in Schweden. Das könnte damit zusammenhängen, dass in der Schweiz weniger importierte Produkte konsumiert werden», vermutet Jörgen Magnér.
Trotzdem schlagen auch die Analysen zu den Schweizer Proben auf den Magen. «Auch in den Urinproben aus der Schweiz fanden wir zahlreiche Rückstände von Herbiziden, Insektiziden, chemische Substanzen zur Wachstumsregulierung und Fungizide», so der Umweltchemiker.
Die Probanden haben all diese Pestizide mit der konventionellen Nahrung aufgenommen, darunter auch sehr kontroverse Stoffe. Besonders alarmierend: Das Labor stiess auch auf Glyphosat, das meistverwendete Totalherbizid in Europa und in der Schweiz. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft dieses Pestizid als wahrscheinlich krebserregend ein. «Aus der Sicht des Umweltchemikers möchte ich diesen Stoff nicht in meinem Essen haben», betont Jörgen Magnér. Noch höher fallen die Glyfosinat-Werte in den Urin-Proben aus, dem Nachfolgeprodukt von Glyphosat.
Pestizide auch in Bio-Nahrung
Kaum zu glauben: Auch in den Urinproben aus der Testphase mit Bio-Nahrung findet der Umweltchemiker Pestizidrückstände. Immerhin, gegenüber der konventionellen Woche nehmen die Pestizidrückstände merklich ab: Kathrin Winzenried kommt während der konventionellen Woche auf 68 Mikrogramm pro Gramm Kreatinin. (Kreatinin ist ein Stoffwechselprodukt, auf dessen Basis das Labor die Pestizidkonzentration im Urin misst). Während der Bio-Ernährungsphase sinken die Pestizidrückstände im Urin der «Kassensturz»-Moderatorin auf 25 Mikrogramm. Ähnliche Werte auch bei Gabriela Baumgartner: 64 Mikrogramm Pestizide weist die Rechtsexpertin von «Kassensturz/Espresso» während der konventionellen Woche aus, in der Bio-Phase fallen die Pestizidrückstände auf 34 Mikrogramm.
Auffällig: Bei den weiblichen Probanden sind die Werte um einiges höher als bei den männlichen Redaktionskollegen: «Kassensturz»-Redaktor Magnus Renggli kommt in der konventionellen Woche auf 34 Mikrogramm Pestizide. In der Bio-Phase sinkt der Wert auf 12 Mikrogramm. Weniger gross ist der Unterschied Konventionell zu Bio bei «Espresso»-Moderator Stefan Wüthrich (33 vs. 22 Mikrogramm).
«Wichtig ist: Jeder dieser Stoffe für sich alleine ist in den gefundenen Mengen nicht gesundheitsschädigend», so Jörgen Magnér. Er weist aber auch darauf hin, dass die Langzeitwirkung dieser Pestizide auf unseren Körper kaum erforscht seien, ebenso wenig, wie sie miteinander als Cocktail interagieren würden.
Bund will Pestizide senken
Zurück in der Schweiz, konfrontiert «Kassensturz» den Präsidenten des Schweizer Bauernverbandes, Markus Ritter, mit den Laboranalysen aus Schweden: «Wir nehmen die Resultate sehr ernst», sagt der oberste Schweizer Bauer und ergänzt: «Wir werden im konventionellen Bereich immer Pestizidrückstände finden. Aber unser Ziel ist es, diese Werte weiter zu reduzieren.» Massnahmen erwartet Markus Ritter vom «Aktionsplan Pflanzenschutz» des Bundesrates. Dieser habe zum Ziel, den Pestizid-Einsatz in der Schweiz zu senken.
Markus Ritter ist selber Bio-Bauer. Er zeigt sich über die Pestizid-Rückstände in den Bio-Proben sehr erstaunt: «Im Bio-Bereich müssten die Werte eigentlich bei annähernd Null sein. Wir müssen abklären, wie es zu diesen Ergebnissen gekommen ist», so der Bauernverbandspräsident. Denn hier gehe es um die Glaubwürdigkeit des Bio-Landbaus.
Die Erklärungen von Bio-Suisse
Bio-Suisse-Präsident Urs Brändli schliesst gegenüber «Kassensturz» kategorisch aus, dass «seine» Biobauern verbotenerweise Pestizide ausbringen: «Dafür lege ich meine Hand ins Feuer», so der Wächter über die Bio-Knopse. Es gebe verschiedene Umwelteinflüsse, welche für die gefundenen Pestizidrückstände im Urin während der Bio-Ernährungsphase in Frage kämen: Kosmetika, Haarshampoo und Kleidungsstoffe etwa.
Urs Brändli schliesst aber nicht aus, dass auch Bio-Lebensmittel mit Pestiziden belastet sein können: «Die Abdrift könnte dafür ein Grund sein, wenn also ein konventioneller Bauer sein Feld mit Pflanzenschutzmitteln behandelt, und der Wind diese Stoffe auf das danebenliegende Feld eines Bio-Bauern weht.» Bio-Suisse führe aber zahlreiche und regelmässige Kontrollen der Bio-Produkte aus, um zu verhindern, dass solche Lebensmittel unter dem Bio-Label in den Verkauf gelangten. «Eine hundertprozentige Sicherheit aber gibt es natürlich auch hier nicht, wir können nicht jedes einzelne Korn oder jede einzelne Tomate auf Rückstände hin untersuchen», räumt der Präsident von Bio-Suisse ein.