«Niemand würde dem Belegarzt von seinen gesundheitlichen Problemen erzählen.» Diese Aussage stammt von einem Angestellten eines grossen Schweizer Logistik-Konzerns. Der Mann arbeitet fast nur nachts – seine Schichten sind unregelmässig. Er sei oft müde, fühle sich nicht erholt und ausschlafen sei auch dann nicht möglich, wenn er eigentlich könnte. Und dennoch: Bei den regelmässigen Gesundheitschecks, die Schichtarbeitende laut Arbeitsgesetz zu Gute haben, mag er diese Probleme nicht ansprechen.
Dieses Verhalten kennt Jens Acker gut. Er ist Chefarzt an der Klinik für Schlafmedizin in Bad Zurzach und am Flughafen Zürich. Piloten beispielsweise würden oft erst mit der Zeit Vertrauen gewinnen: «Am Anfang scheuen sie sich davor, einem Arzt von ihren Problemen zu erzählen, aus Angst sie könnten ihre Lizenz verlieren. Ich kann das völlig nachvollziehen.» Voraussetzung sei aber selbstverständlich, dass entsprechende Angebote in Betrieben vertraulichen seien. «Sonst funktioniert das gar nicht.»
Am Anfang scheuen sich viele Piloten davor, einem Arzt von ihren Problemen zu erzählen, aus Angst sie könnten ihre Lizenz verlieren.
Gesundheit hat nicht immer Priorität
Ein weiteres Problem, das Jens Acker nur allzu gut kennt: Schichtarbeitende profitieren zum Beispiel von mehr Lohn oder dank Zeitzuschlägen während der Nacht auch von mehr Freizeit. Auf diese Vorteile zu verzichten, ist nicht einfach: «Viele sind nicht bereit, weniger Lohn zu akzeptieren und stattdessen auf ihre Gesundheit zu achten. Die wollen es dann lieber doch noch ein paar Jahre versuchen und machen bei unseren Vorschlägen nicht optimal mit.»
Viele sind nicht bereit, weniger Lohn zu akzeptieren und stattdessen auf ihre Gesundheit zu achten.
Wer seine gesundheitlichen Probleme über lange Zeit ignoriert, läuft Gefahr, ernsthaft krank zu werden. Man spricht dann auch vom «Schichtarbeiter-Syndrom». Das ist eine Krankheit, die einer Depression sehr ähnlich ist, allerdings im direkten Zusammenhang mit der Schichtarbeit steht: «Die Leute mögen nicht mehr, haben wenig Energie und sind gereizt», sagt Jens Acker. «Vor allem aber sind sie nicht erholt, sondern müde und ausgebrannt.»
Manchmal ist eine Pause nötig
Leute, die wegen Schichtarbeit ernsthaft krank sind, kommen beispielsweise zu Veronica Cremascoli. Die Psychologin und Schlafexpertin an der Klinik für Schlafmedizin kennt die Strapazen von Nachtschichten aus eigener Erfahrung. Sie war viele Jahre lang als Flugbegleiterin tätig. «Nach einer Nachtschicht habe ich immer versucht, so rasch als möglich schlafen zu gehen. Besonders wichtig ist es auch, sich auf dem Heimweg möglichst wenig Licht auszusetzen.» Da könne im Sommer, wenn es am Morgen schon hell sei, auch eine Sonnenbrille helfen. Ans Licht sollte man erst nach ein paar Stunden Schlaf. «Auch Bewegung ist dann wichtig.»
Veronica Cremascoli zeigt ihren Patientinnen und Patienten Strategien auf, wie sie Nachtschichten besser bewältigen können. Dazu gehört insbesondere ein geregelter Tagesablauf nach Nachtschichten: «Fixe Bettzeiten und regelmässige Malzeiten sind wichtig, um unsere innere Uhr im Takt zu halten.» Den Tag völlig umkehren – also etwa ein üppiges Nachtessen nach einer Nachtschicht – sei eher kontraproduktiv, da man mit vollem Magen schlechter schlafe.
Die meisten Leuten gehen zurück an den Arbeitsplatz.
Manchmal sind auch einschneidende Massnahmen nötig. Beispielsweise ist eine Pause nötig, wenn sich Probleme chronifiziert haben. In solchen Fällen werden Lösungen gesucht, damit Betroffene eine Zeit lang nicht mehr nachts arbeiten müssen. Danach ist eine Rückkehr in den alten Job oft möglich. Jens Acker sagt: «Die meisten Leuten gehen zurück an ihren Arbeitsplatz und arbeiten weiter.»