Eine «Espresso»-Hörerin ist trockene Alkoholikerin und merkt erst beim Essen eines Migros-Desserts, dass dieses Alkohol enthält. Auf dem «Fürstenbecher» mit Meringue, Crème und Biskuit steht nur auf der Zutatenliste, dass dieser 13 Prozent Kirsch enthält. «Ich hatte einen Schock, als ich den ersten Bissen im Mund hatte. Der Fürstenbecher war regelrecht mit Kirsch durchtränkt», sagt die Frau und fragt sich, warum ein derart hoher Alkoholgehalt im Fürstenbecher nicht besser gekennzeichnet ist. Sie hätte dieses Dessert nie gekauft, wenn sie auf Anhieb gesehen hätte, dass es Alkohol enthält.
Der Alkoholgehalt sei tatsächlich ziemlich hoch für ein Dessert, bestätigt Urs Meichtry, Leiter Konditorei & Confiserie der Richemont Fachschule. «13 Prozent Kirsch ist sicher an der oberen Grenze für einen Fürstenbecher. Eine Diplomatcrème zum Beispiel enthält nur 3 bis 5 Prozent Alkohol, das entspricht dem Durchschnitt einer Patisserie.»
13 Prozent Kirsch ist sicher an der oberen Grenze für einen Fürstenbecher.
Korrekt – aber schlecht sichtbar
Die Migros deklariert den Alkohol eines Produktes auf der Zutatenliste. Diese klebt meistens auf der Rück- oder Unterseite der Verpackung, die Schrift ist sehr klein. Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV schreibt vor, dass Alkohol in der Zutatenliste vermerkt und diese an einer gut sichtbaren Stelle, gut lesbar und dauerhaft angebracht sein muss. Die Migros verhält sich also korrekt, trotz kleiner Beschriftung.
Der «Espresso»-Hörerin reicht dies nicht. Für eine trockene Alkoholikerin sei es schwierig, plötzlich wieder Alkohol auf der Zunge zu schmecken: «Die Angst, rückfällig zu werden, war da. Es braucht ganz, ganz wenig für einen Rückfall.» Dies bestätigt auch Monique Portner von Sucht Schweiz. Auch sie wünscht sich eine klarere Deklaration von alkoholhaltigen Produkten.
Es braucht ganz, ganz wenig für einen Rückfall.
Erklärung der Migros überzeugt nicht
Die Migros betont, dass sie sich an die Vorgaben hält und Alkohol immer in der Zutatenliste aufführt, teilweise sogar mit einem zusätzlichen Hinweis «Alkoholhaltig: Nicht für Kinder geeignet!». Feedbacks der Kundinnen und Kunden nähme man aber ernst und prüfe derzeit die Möglichkeit einer weiteren Deklaration bei alkoholhaltigen Produkten. «Bei gekühlten Konditorei-Produkten haben wir leider nur sehr begrenzte Möglichkeiten von grösseren Hinweisen, da der Platz auf dem Etikett beschränkt ist. Weitere Hinweise sind somit nur mit zusätzlichen Stickern möglich», schreibt Migros. Ausserdem würden zusätzliche Kleber die Produkte verteuern.
«Espresso» will wissen, weshalb denn bei der alkoholfreien Variante der Schwarzwäldertorte ein gelber Kleber mit der Aufschrift «Ohne Alkohol» auf der Verpackung prangt. Warum also kennzeichnet die Migros alkoholhaltige Desserts nicht mit einem entsprechenden «Mit Alkohol»-Kleber? Die Migros antwortet, weil sie die Schwarzwäldertorte mit und ohne Alkohol im Sortiment führe, kennzeichne man diejenige ohne Alkohol zusätzlich, so gäbe es keine Verwechslungsgefahr. Den Fürstenbecher, den die «Espresso»-Hörerin gekauft hat, gäbe es nur mit Alkohol, eine Verwechslungsgefahr bestehe daher nicht. Die Migros verzichtet hier also auf einen extra Kleber.
Da bleibt den Konsumentinnen und Konsumenten nichts anderes übrig, als die kleingeschriebene Zutatenliste genau zu lesen – wenn nötig, mit einer Lupe.