Alt-Bundesrätin Simonetta Sommaruga (64) war von 1993 bis 2010 als engagierte Konsumentenschützerin unterwegs – zuerst als Geschäftsleiterin, dann als Präsidentin der Stiftung für Konsumentenschutz (SKS). Aus Anlass des Jubiläums «50 Jahre Konsumentensendungen im Schweizer Radio» erinnert sie sich an jene Zeit zurück und sagt unter anderem, wo sie heute noch Nachholbedarf in Sachen Konsumentenschutz sieht.
SRF: Simonetta Sommaruga, als wir Sie angefragt haben für dieses Interview, haben Sie uns etwas Interessantes geschrieben: «Espresso» sei entscheidend gewesen für ihren weiteren beruflichen und politischen Weg. Was heisst das konkret?
Simonetta Sommaruga: «Espresso» war schon damals eine beliebte Sendung. Sie berichtete über Alltagsthemen, welche die Konsumentinnen und Konsumenten beschäftigt haben. Und ich konnte dort ihre Anliegen vertreten. Ich konnte Klartext reden und manchmal sogar dem Bundesrat an den Karren fahren.
Unter anderem haben Sie sich nach dem Dioxin-Skandal beim Hühnerfutter in Belgien 1999 nachdrücklich für eine bessere Herkunftsdeklaration bei den Lebensmitteln eingesetzt. Hat sich Ihr Einsatz gelohnt?
Ich denke schon, dass die Lebensmittel heute besser deklariert sind. Aber das durchzusetzen, hat lange gedauert. Wir haben nicht nur für die Herkunftsdeklaration gekämpft, sondern auch für bessere Informationen zur Tierhaltung. Auch dort brauchte es leider einen Skandal.
Ich denke schon, dass die Lebensmittel heute besser deklariert sind.
Plötzlich hat man erkannt, was Bodenhaltung bei den Hühnern eigentlich bedeutet, und wollte Produkte aus Freilandhaltung kaufen. Einen grossen Einsatz hat es auch gebraucht, um die Hersteller und Händler dazu zu bringen, dass ein echtes Bio-Produkt drin ist, wenn ein Bio-Label auf der Verpackung steht. Bis heute muss man ihnen auf die Finger schauen, dass das so bleibt.
Für die Konsumentinnen und Konsumenten heute ist der ganze Onlinebereich ein grosses Thema geworden – vom Onlineshopping bis zur Cyberkriminalität. Wie gut sind sie geschützt?
Schon seit Jahren gibt es in der Europäischen Union zum Beispiel ein Widerrufsrecht bei Online-Käufen. Seit Jahren versucht der Konsumentenschutz ein solches Recht auch in der Schweiz einzuführen. Unlängst hat dies der Bundesrat erneut abgelehnt. Ich sehe keinen Grund, weshalb die Konsumenten in der Schweiz hier schlechter gestellt sein sollten als jene im Ausland.
Hat der Konsumentenschutz hierzulande in der Politik einen schweren Stand?
Ja. Ich habe das Gefühl, dass viele Politikerinnen und Politiker immer noch der Meinung sind, dass Leute, die übers Ohr gehauen werden, selbst schuld sind. Darunter leiden häufig jene, die eh schon finanziell am Limit sind. Ich denke zum Beispiel an die Konsumkredite. Sie führen oft zur Überschuldung, weil niemand wirklich hinschaut. Auch dieser Bereich ist in der Schweiz schlechter geregelt als in der EU. Auch das kann ich nicht nachvollziehen.
Aber etwas Eigenverantwortung kann man von den Leuten ja schon erwarten. Dass sie etwa die Bewertungen eines Online-Shops checken, bevor sie dort einkaufen.
Selbstverständlich. Aber dann muss man wieder aufpassen, dass eine Bewertung oder Vergleichsseite auch wirklich neutral ist. Und bei aller Eigenverantwortung, es braucht Konsumentensendungen, -zeitschriften und -organisationen, um die Leute aufzuklären und Missstände an die Öffentlichkeit zu bringen. Wie etwa der Bericht im «Kassensturz» vor Weihnachten über die Qualzuchten beim Lachs.
Das Gespräch führte Peter Fritsche.