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Reiseversicherung schikaniert kranke Kunden
Aus Espresso vom 26.07.2016. Bild: Colourbox
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Familie und Freizeit Reiseversicherung schikaniert kranke Kunden

Schlimm genug, dass zwei «Espresso»-Hörerinnen ihre geplanten Ferien wegen Krankheit absagen mussten. Obwohl beide ihrer Reiseversicherung ein hieb- und stichfestes Arztzeugnis vorlegten, wollten diese zunächst nicht zahlen.

Eigentlich hätte sich Gilda Frei im April in Mallorca erholen wollen. Doch wenige Tage vor ihren Ferien eröffnet ihr der Arzt, dass sie schwer krank sei und sofort operiert werden müsse. Frei sagt die Reise ab und schickt die Rechnungen für die Annullation ihrer Reisersicherung. Gilda Frei bezahlt beim Verkehrsclub der Schweiz VCS seit vielen Jahren für einen Schutzbrief.

Ombudsstelle: mehr Beschwerden

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Die Reiseombudsstelle verzeichnete letztes Jahr doppelt so viele Beschwerden wegen Reiseversicherungen. Zugenommen haben vor allem Fälle wegen Ablehnungen von Reiseannullationen infolge psychischer Krankheiten. Ganz allgemein stellt der Ombudsmann eine strengere Praxis der Versicherungen bei Schadenfällen fest. www.ombudsman-assurance.ch

Kurze Zeit später bekommt Gilda Frei ein Schreiben der Europäischen Reiseversicherung, der Versicherung hinter dem Schutzbrief des VCS. Frei wird aufgefordert, ein einseitiges Formular mit detaillierten Fragen zu ihrem Gesundheitszustand von ihrem Arzt ausfüllen zu lassen. So will die Europäische die genaue Diagnose wissen, wann der Eingriff und Nachkontrollen stattfinden sollen und welche Therapien verordnet würden.

Patientin fühlt sich der Versicherung ausgeliefert

Gilda Frei ist schockiert. Sie lässt das Formular zwar ausfüllen, aber sie fühlt sich ausgeliefert und bloss-gestellt. «Was geht es die Reiseversicherung an, woran ich leide und wie die Behandlung aussieht?»

Von ähnliche Erfahrungen mit der Europäischen Reiseversicherung berichtet eine «Espresso»-Hörerin aus dem St. Gallischen. Die 78-jährige Frau wollte in die USA reisen, zur Hochzeit ihres Enkels. Doch drei Monate vor der Reise erleidet die depressive Frau einen Schub. Sie muss die Reise absagen.

Jetzt fühlt sie sich von ihrer Reiseversicherung, der Europäischen Reiseversicherung, im Stich gelassen. Diese lehnt die Übernahme der Annullierungskosten nämlich ab. Chronisch kranke Patientin sind laut einer Bestimmung in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen nur versichert, wenn sie sich vor der Buchung von einem Arzt bestätigen lassen, dass sie reisefähig sind.

Klausel ist «unsinnig» und «zu vage» formuliert

Tipps für den Abschluss

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Lesen Sie vor dem Abschluss einer Reiseversicherung die Allgemeinen Bedingungen genau durch, vor allem die Ausschlüsse. Wer an einer chronischen Krankheit leidet, sollte sich die Reisefähigkeit vom Arzt vor der Buchung bestätigen lassen. Lassen Sie sich Auskünfte zu den Deckungen immer von der Versicherung bestätigen und nicht vom Reisebüro.

Für Gerda Hirter, die Ärztin der Frau, ist das ein Witz. Viele depressive Patienten hätten jahrelang keine Beschwerden, man wisse nie ob und wann ein Schub zu erwarten sei. Dass solche Patienten vor jeder Buchung ein ärztliches Attest einholen müssten, ist für Hirter «unsinnig».

Kritik an dieser Klausel kommt auch von Frédéric Krauskopf, Rechtsprofessor und Direktor am Institut für Haftpflicht- und Privatversicherungsrecht. Seiner Meinung nach ist diese Klausel «zu vage» formuliert. Wenn eine Versicherung von chronisch Kranken vor einer Buchung ein Reisefähigkeitszeugnis verlange, müsse sie definieren, was sie unter einer chronischen Krankheit verstehe.

Krauskopf weist darauf hin, dass ein Grossteil der Bevölkerung an Bluthochdruck, Rückenschmerzen oder überhöhtem Blutzucker leide, also an irgendeiner Form einer chronischen Krankheit. Dass alle chronisch Kranken ihre Reisefähigkeit vor jeder Buchung bestätigen lassen müssten, findet Krauskopf «übertrieben».

Auch der Fragekatalog schiesst übers Ziel hinaus

Auch mit dem Fragekatalog, den Gilda Frei ausfüllten musste, schiesst die Europäische laut Rechtsprofessor Krauskopf übers Ziel hinaus. Eine Versicherung dürfe Fragen stellen, aber diese müssten einen direkten Zusammenhang mit der Reisefähigkeit haben. Fragen zur Diagnose oder zu nach einer Operation folgenden Therapien erfüllen diese Voraussetzung nicht.

Der Verkehrsclub der Schweiz VCS nimmt die Kritik ernst. «Es ist uns wichtig, dass sich unsere Mitglieder fair behandelt fühlen», sagt VCS Sprecher Matthias Müller. Man werde der Sache nachgehen und sich mit der Europäischen Reiseversicherung austauschen.

Zum Fall der psychisch kranken «Espresso»-Hörerin nimmt die Europäische Reiseversicherung Stellung. Der Entscheid sei korrekt, man habe sich genau an die Allgemeinen Versicherungsbedingungen gehalten, schreibt der Vorsitzende der Geschäftsleitung Thomas Tanner. Die Frau könne ihren Fall jedoch dem Ombudsmann der Reiseversicherung unterbreiten. Sollte der zu einer anderen Einschätzung gelangen, werde man diesen respektieren und die Sache neu beurteilen.

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