Gabriela W. ist vorbestraft. Gemäss Strafregister hat sie vorsätzlich gegen das Waffengesetz verstossen. Dass es so weit kommen konnte, ist für sie nicht nachvollziehbar: «Ich finde es absolut unverhältnismässig. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das die Absicht der Schweizer Justiz sein soll.»
Schock am Flughafen
Es beginnt diesen Sommer am Flughafen Zürich. Gabriela W. bleibt in der Sicherheitskontrolle hängen. Die Polizei stellt den Schlüssel-Anhängers aus der Handtasche sicher. An Gabriela W. Schlüsselbund baumelt seit 23 Jahren ein Metallstab, der etwa so lang ist wie ein Kugelschreiber.
«Ich bin aufgeklärt worden, dass das eine Waffe sei, dass man das Kubotan nenne und dass man das nicht ohne Waffentragschein auf sich tragen dürfe», erklärt Gabriela W. Sie fällt aus allen Wolken. Denn sie ist schon mehrmals mit dem Schlüsselanhänger geflogen. Die Polizei hat ihn immer begutachtet und immer wieder zurückgegeben.
«Vorsätzliches Vergehen gegen das Waffengesetz»
Am Flughafen beschlagnahmt die Polizei den Schlüsselanhänger. Es heisst, sie müsse mit einer Busse rechnen. Doch es kommt viel schlimmer. Als Gabriela W. von ihren Ferien zurückkehrt, bekommt sie einen Strafbefehl mit happigem Inhalt.
Die Staatsanwaltschaft am Flughafen Zürich wirft ihr vor, sie habe ohne Berechtigung eine Waffe getragen. Sie sei schuldig des vorsätzlichen Vergehens gegen das Waffengesetz. Das bedeutet: Eine bedingte Geldstrafe, 300 Franken Busse und 700 Franken Verfahrenskosten.
Nachteile wegen Vorstrafe
Weil man ihr eine vorsätzliche Tat zur Last legt, hat dies auch ein Eintrag ins Strafregister zur Folge. Für Gabriela W. ist dies keine Lappalie. Denn sie arbeitet als selbstständige Gärtnerin. Eine Vorstrafe hat zur Folge, dass sie künftig bei der Vergabe von Aufträgen benachteiligt sein kann.
Dass ihr die Staatsanwaltschaft einen Vorsatz unterstellt, ist für Gabriela W. absurd: «Das würde heissen, dass ich das böswillig, mit Absicht gemacht habe. Und das stimmt nicht.»
200 weitere Frauen betroffen
Den Schlüsselanhänger bekam sie am Ende eines Selbstverteidigungskurses für junge Frauen geschenkt. Das war völlig legal und nie war Thema, dass der Schlüsselanhänger eine Waffe sein könnte. Der Kurs wurde von der Organisation Jugend und Sport durchgeführt. Rund 200 weitere Frauen, die damals einen Schlüsselanhänger bekamen, könnten heute nichtsahnend einen verbotenen Kubotan bei sich haben.
Gabriela W. nimmt sich einen Anwalt und wehrt sich gegen den Strafbefehl. Die Staatsanwaltschaft am Flughafen bestellt sie daraufhin zu einer Einvernahme. Gabriela W. hofft, sie könne den Fall vor Ort aufklären. Doch sie findet kein Gehör.
«Die Beschuldigte weint»
Die Staatsanwaltschaft besteht darauf, sie hätte sich informieren müssen, sie hätte wissen müssen, dass sie eine Waffe auf sich trage. Die Einwände von Gabriela W. und ihrem Anwalt werden zwar protokolliert, haben aber keinen Einfluss auf das Strafmass. Der Strafbefehl hat Bestand. Gabriela W. ist schuldig.
Die Einvernahme ist hart: Im Protokoll heisst es an einer Stelle: Die Beschuldigte weint. «Das stimmt, ich habe geweint. Ich habe mich im falschen Film gefühlt.» Auf die harte, unnachgiebige Haltung war sie nicht vorbereitet. Ihr Anwalt verlangte eine Einstellung des Verfahrens, vergeblich.
Rechtliche Grundlagen
Kubotan gilt als Waffe
Dabei wäre eine Einstellung das einzig Richtige gewesen, sagt Christof Riedo, Strafrechtsprofessor an der Universität Freiburg. «Gabriela W. hat gar nicht wissen können, dass sie den Kubotan nicht bei sich tragen darf», sagt der Strafrechtsexperte.
Er führt mehrere Gründe an: Als Frau W. den Kubotan bekam, gab es noch gar kein Waffengesetz. Heute hält das Waffengesetz fest, dass Geräte, die dazu bestimmt sind, Menschen zu verletzen, Waffen sind. Selbstverteidigungsgeräte wie der Kubotan gehören zwar dazu. Aber weder im Gesetz noch in der Broschüre des Bundes zum Gesetz kommt der Kubotan vor.
Experte fordert: «Verfahren einstellen»
Kommt hinzu: «Nach Inkrafttreten des Waffengesetzes ist sie damit herum gereist, sie ist am Flughafen gewesen. Die Polizei hat das Gerät mehrmals angeschaut, hat das immer für problemlos erachtet und zurückgegeben. Bei dieser Ausgangslage ist Frau Walter natürlich nicht auf die Idee gekommen, abzuklären, ob sie das jetzt darf oder nicht.»
Obwohl die Gerichte streng seien in solchen Fällen, kommt Christof Riedo zum Schluss: Gabriela W. unterlag einem Rechtsirrtum. Die Staatsanwaltschaft hätte das Verfahren einstellen müssen.
Behörde bleibt hart
Die Staatsanwaltschaft sieht das anders. Sie nimmt nur schriftlich Stellung zum Fall und schreibt: «Im konkreten Fall bestanden unterschiedliche rechtliche Ansichten, indem die Staatsanwaltschaft nicht von Fahrlässigkeit, sondern allenfalls von einem Irrtum ausging und einen solchen auch prüfte, letztendlich aber zum Schluss kam, dass dieser vermeidbar gewesen wäre.»
Aber das ist noch nicht alles: Die Staatsanwaltschaft bleibt bei ihrer harten Linie. Dabei ist sie sich noch nicht einmal sicher, ob sie Recht hat. Als Gabriela W.s Anwalt nämlich der Behörde mitteilt, dass sie den Strafbefehl nicht vor Gericht anfechten kann, weil ihr das Geld dazu fehlt, reagiert diese merkwürdig.
Gabriela W. kann sich Weiterzug nicht leisten
«Die Staatsanwaltschaft sagte, sie würde es begrüssen, wenn wir den Fall weiterziehen würden. Das steht im Widerspruch zu der harten Linie, die sie vorher verfolgt hat», sagt Adrian Willimann, Gabriela W. Anwalt von der Kanzlei Bühlmann & Fritschi.
Das stossende Resultat: Trotz der rechtlich höchst umstrittenen Begründung bleibt Gabriela W. nichts Anderes übrig, als mit dem Urteil und ihrer Vorstrafe zu leben. Einen Weiterzug kann sie sich schlicht nicht leisten.