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Der arbeitslose Drucker hatte der Gemeinde Spreitenbach im letzten Juni rund 60'000 Franken aus seinem Pensionskassenguthaben zurückbezahlt. Er sagt, er sei unter Druck gesetzt worden. Der 61-Jährige möchte anonym bleiben, nennen wir ihn Hans M.
Im Frühling 2014 wurde Hans M. nach zweijähriger Arbeitslosigkeit ausgesteuert. Als er sich bei der Gemeinde meldete hiess es, da er sechzig sei, habe er keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Er solle sein Pensionskassenguthaben beziehen.
Existenzängste
Seither lebt er von seinem Altersbatzen, der nun von Monat zu Monat schrumpft. Hans M. spart, wo er kann, kauft nur noch Aktionen und verzichtet auf Restaurantbesuche. Trotzdem macht er sich Sorgen, dass das Geld nicht reichen könnte bis er mit 63 Jahren AHV und Ergänzungsleistungen beziehen kann.
Hans M. wurde im April 2012 entlassen, mit 58 Jahren. Vier Jahre hatte er in der Spedition eines Elektronikhändlers gearbeitet. Dann wurde die Abteilung automatisiert. Seither sucht er eine neue Stelle, ohne Erfolg. Er sagt, die Absagen lauten immer gleich: «Es ist einfach immer wieder das Alter, man ist zu teuer und zu alt. Und man ist nicht mehr so belastbar.»
Als Drucker fand Hans M. schon früher keine Stelle mehr. In der Vergangenheit war er deshalb bereits arbeitslos gewesen und bezog eine Zeit lang Sozialhilfe. Im letzten Frühling schliesslich wurde er ausgesteuert.
Wer vom Pensionskassengeld lebt, bekommt keine Sozialhilfe
Andreas Hediger von der unabhängigen Fachstelle für Sozialhilferecht (UFS) kennt mehrere Fälle von Gemeinden, die ältere Arbeitslose dazu drängen, ihren Altersbatzen vor der Pensionierung anzutasten und davon zu leben.
Gemäss Gesetz ist es zwar möglich, das Altersguthaben fünf Jahre vor der Pensionierung zu beziehen. Ob das aber Sinn macht, ist umstritten. Die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (Skos) empfiehlt den Bezug erst ab 63 Jahren, zusammen mit der AHV. Wenn Sozialhilfebezüger ihr Pensionskassengeld bereits mit 60 Jahren beziehen, profitiert davon vor allem die Gemeinde, erklärt Andreas Hediger: «Wenn man jemanden dazu bringt, sein Freizügigkeitskonto aufzulösen und davon zu leben, dann reduziert das die Ausgaben bei der Sozialhilfe und den Aufwand der jeweiligen Gemeinde.»
Gemeinde kassierte gleich noch Steuerschulden ein
Doch die Gemeinde Spreitenbach ging noch einen Schritt weiter. Sie forderte Hans M. auf, bezogene Sozialhilfegelder zurückzuzahlen: In den Jahren 2005 bis 2007 hatte Hans M. Sozialhilfe bezogen und an einem Beschäftigungsprogramm teilgenommen. Die Gemeinde schlug vor, die Bezüge mit einer einmaligen Zahlung von 5000 Franken zu begleichen.
Frühere Beiträge:
Doch bevor Hans M. auf diesen Vorschlag reagieren konnte, lag eine neue Forderung auf dem Tisch: Die Gemeinde legte ihm einen sogenannten Abtretungsvertrag vor. Gestützt darauf sollte Hans M. der Gemeinde Spreitenbach für ausstehende Steuern 24'593 Franken bezahlen und für die Rückerstattung von Sozialhilfe 33'966 Franken. Total also 58'559 Franken. Fast die Hälfte seines Pensionskassenguthabens.
Ein Schock für Hans M. Er wollte den Vertrag nicht unterzeichnen. Doch er sagt, er sei unter Druck gesetzt worden: «Der Mitarbeiter vom Steueramt sagte, er könne mir auch 90'000 Franken abnehmen, wenn ich nicht unterzeichne.»
«Rückzahlung ist nicht zumutbar»
Wann aber darf eine Gemeinde überhaupt Sozialhilfebezüge zurückfordern? Diese Frage sei kantonal geregelt, sagt Sozialversicherungsexperte Ueli Kieser, Rechtsprofessor an der Universität St. Gallen. Im Kanton Aargau gelte gemäss dem Sozialhilfe- und Präventionsgesetz (SPG), Artikel 20:
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«Wer materielle Hilfe bezogen hat, ist rückerstattungspflichtig, wenn sich die wirtschaftlichen Verhältnisse so weit gebessert haben, dass eine Rückerstattung ganz oder teilweise zugemutet werden kann».
Im Gegensatz zur Gemeinde Spreitenbach hält Ueli Kieser eine Rückzahlung der Sozialhilfe im Fall von Hans M. für nicht zumutbar, denn der Mann befinde sich in einer schwierigen Lage, habe kein Vermögen und werde wahrscheinlich keine Stelle mehr finden. Die Situation wäre anders, wenn er eine Erbschaft erwarten oder im Lotto gewinnen würde.
Pensionskassengeld dient der Altersvorsorge
Allgemein kritisiert der Sozialversicherungsexperte, dass die Gemeinde in diesem Fall auf die Vorsorgegelder von Hans M. zurückgriff. Ueli Kieser: «Die Praxis in der Schweiz ist eigentlich, dass man Pensionskassenguthaben nicht berücksichtigt, wenn es um das Zurückbezahlen von Sozialhilfe geht. Denn das Pensionskassenguthaben braucht man, um das Alter zu finanzieren.»
Hans M. sagt, er sei unter Druck gesetzt worden den Vertrag zu unterzeichnen, deshalb will er einen Teil seines Geldes zurückfordern.
Stellungnahme der Gemeinde Spreitenbach
Die Einwohnergemeinde Spreitenbach erklärt gegenüber «Kassensturz», sie hätte nie von einem Schuldner die Auszahlung von Pensionskassengeldern verlangt. Zum Fall Hans M. schreibt sie: Er habe sich bei der Finanzverwaltung gemeldet und erklärt, «[…] dass er sich sein Pensionskassenkapital auszahlen lasse und wieder über gute finanzielle Mittel verfüge. Weiter erklärte er gegenüber dem Verwaltungspersonal, dass er in diesem Zusammenhang alle seine Schulden bezahlen möchte.» Zur Abtretungserklärung hält die Gemeinde fest: «Herr M. hat diese Abtretungserklärung für die Rückzahlung von erhaltener Unterstützung und von ihm nicht bezahlter Steuern von sich aus freiwillig unterzeichnet, weil es seinem Willen entsprach.»