Die Geschichte von der kleinen Schneeflocke, die ihre Wolke verlassen und ihr Glück auf der Erde suchen will - diese Geschichte wird die Wandergruppe aus dem zürcherischen Oetwil am See teuer zu stehen kommen.
Die ehrenamtlich organisierte Wandergruppe ist Teil der Alterskommission der Gemeinde. Über ihr Internetportal lädt sie interessierte Seniorinnen und Senioren ein zu Ausflügen und Wanderungen in familiärer Atmosphäre.
«Als die kleine Schneeflocke die Sonne traf»
Auf diesem Portal veröffentlichte der Verantwortliche der Wandergruppe die Kurzgeschichte «Als die kleine Schneeflocke die Sonne traf» der deutschen Autorin Elke Bräunling.
«Die Geschichte hat mein Herz berührt. Deshalb wollte ich sie den Wanderinnen und Wandern bekannt geben», sagt Ernst Oertli im «Kassensturz».
Der Leiter der Wandergruppe ging davon aus, eine Veröffentlichung sei zulässig, wenn der Name der Autorin genannt werde. Umso grösser war sein Erstaunen, als er während der Sommerferien Post von der Berliner Anwaltskanzlei Inde bekam.
Mit der Veröffentlichung der Geschichte auf dem Portal habe man Urheberrecht verletzt, heisst es im fünfseitigen Schreiben. Das Anwaltsbüro verlangt dafür 550 Euro Schadenersatz plus 745 Euro Anwaltsentschädigung. Total: rund 1300 Euro.
Senioren sollen Schadenersatz und Busse bis 5000 Euro zahlen
Zudem wird die Wandergruppe aufgefordert, eine sogenannte "strafbewehrte Unterlassungserklärung" zu unterzeichnen und sich darin zu verpflichten, die Nutzung des Werkes künftig zu unterlassen. Zuwiderhandlungen würden mit einer Busse über 5100 Euro geahndet.
Urheberrecht: So ist die Rechtslage
«Wer einen Text, ein Musikstück oder ein Bild aus dem Internet kopiert und veröffentlicht, muss dafür die ausdrückliche Einwilligung des Urhebers einholen», erklärt «Kassensturz»-Rechtsexpertin Gabriela Baumgartner. Nur die Nennung des Namens oder die Angabe der Quelle genüge nicht.
Wer nun ein Werk unrechtmässig verwendet, kann belangt werden. Für Rechtsexpertin Baumgartner ist aber fraglich, ob die Höhe der Forderung der Berliner Anwaltskanzlei gerechtfertigt ist. Für die Verletzung des Urheberrechts werde die Seniorengruppe eine Gebühr bezahlen müssen.
Jedoch schiesse die Kanzlei mit der geforderten Anwaltsentschädigung über 745 Euro übers Ziel hinaus. Denn: Das deutsche Urheberrechtsgesetz begrenzt die Anwaltsentschädigung auf zirka 130 Euro, wenn – wie im Falle der Seniorengruppe - Privatpersonen ein Werk zu nicht kommerziellen Zwecken genutzt haben.
Die Autorin will nicht mit «Kassensturz» reden
«Kassensturz» wollte von der Autorin Elke Bräunling wissen, ob sie die Forderung im Falle der Wandergruppe nicht für übertrieben hält. Doch die Autorin ist für den «Kassensturz» trotz mehrmaliger Versuche nicht zu sprechen. Das Mail lässt sie von Ihrem Anwalt beantworten. Und der hält an seiner Forderung fest.
Die Seniorengruppe überlegt sich nun, im Sinne einer einvernehmlichen Lösung die geforderten 550 Euro plus 130 Euro Anwaltsentschädigung zu bezahlen. Ob die Autorin Elke Bräunling ihr Anwaltsbüro danach beauftragen will, für die restlichen 600 Euro vor Gericht zu ziehen, wird sich weisen.
Tipps zum konkreten Vorgehen, wenn man wie die Wandergruppe eine Abmahnung wegen einer Urheberrechtsverletztung bekommen, finden Sie im Beitrag «Abmahnung vom Anwalt - was tun?».