30 000 Chemikalien sind in der Schweiz jeden Tag in Gebrauch. Sie stecken in Alltagsprodukten, werden in der Landwirtschaft eingesetzt und in der Industrie. Diese Chemikalien landen aber auch in unseren Gewässern und am Ende im Trinkwasser. Für die Belastung unseres Trinkwassers mit Wirkstoffen aus Medikamenten beispielsweise sorgen wir selbst. Schmerzmittel, Medikamente gegen Diabetes, Antibiotika oder Hormone der Antibabypille verbleiben nur in Bruchteilen in unserem Körper, wir scheiden einen Grossteil wieder aus.
Test in 42 Gemeinden
Wenn Rückstände aus Medikamenten und Pestiziden unsere Trinkwasserressourcen belasten, wie sieht es dann mit unserem Trinkwasser aus? Kassensturz hat gemeinsam mit der Westschweizer Konsumentensendung «A bon entendeur» in 42 Gemeinden in der Schweiz Proben von Trinkwasser genommen und nach 70 Stoffen absuchen lassen.
Das beunruhigende Ergebnis: Nur in acht Gemeinden fand das Labor keine Rückstände im Trinkwasser hatten. Die Labortechniker haben die Stoffe gefunden, die wir häufig gebrauchen: Wirkstoffe aus Schmerzmitteln, Anti-Epileptika und Diabetes-Medikamenten, aber auch Rostschutzmittel und Pestizide. Am häufigsten das Pestizid Atrazin. Atrazin ist ein Mittel gegen Unkraut, es ist seit Ende 2011 in der Schweiz verboten. Es ist so schwer abbaubar, dass es noch jahrzehntelang in der Umwelt verbleibt.
Spitzenreiter bei der Anzahl der gefundenen Stoffe im Trinkwasser ist Lausanne. Dort hat Kassensturz 14 Stoffe im Trinkwasser nachweisen können: Ein Wirkstoffe eines Anti-Epileptikums und verschiedene Rückstände von Pestiziden. Aber auch in Zürich wurden insgesamt 8 Chemikalien gefunden, in Liestal 9.
Stoff-Cocktail macht Experten Sorgen
Der Humantoxikologe Lothar Aicher wertet die Belastung des Trinkwassers in den Gemeinden, die Kassensturz getestet hat, als nicht gesundheitsgefährdend. Sorge bereitet ihm allerdings der Umstand, dass Stoff-Cocktails im Trinkwasser vorkommen. Die Wirkung solcher Stoff-Cocktails in winzigen Dosen auf den Menschen ist kaum erforscht und nur schwer abschätzbar.
Bund will Kläranlagen umrüsten
Das Bundesamt für Umwelt testet gegenwärtig Methoden, um Rückstände aus Medikamenten und Pestiziden in Kläranlagen zu eliminieren. Als sehr wirkungsvoll hat sich der Einsatz von Aktivkohle bei der Abwasserreinigung erwiesen. Aktivkohle kann Medikamenten- und Pestizid-Rückstände binden und aus dem Abwasser herausholen. Der Bund möchte deshalb rund 100 Kläranlagen in der Schweiz umrüsten und in diesen Anlagen das Pulveraktivkohle-Verfahren einbauen. Die Umrüstung der Kläranlagen kostet 1, 2 Millarden Franken. Das letzte Wort hat das Parlament, dass über diese Finanzierung entscheiden wird.
«Wenn ich mehrere dieser Substanzen gleichzeitig mit dem Trinkwasser aufnehme, dann könnte sich die Wirkung dieser Substanzen addieren. Man könnte sogar davon ausgehen , dass sich die Substanzen in ihrer Wirkung noch verstärken.»
Auswirkungen auf Tiere: Eine Zeitbombe
Medikamentenrückstände haben schwerwiegende Folgen für Wasserlebewesen. Die Lausanner Ökotoxikologin Natalie Chèvre hat dies in einer Studie bei Süsswasserkrebsen nachgewiesen: «Wenn man Süsswasserkrebse in Wasser hält, das mit dem Brustkrebsmittel Tamoxifen versetzt wurde, verändert sich die Fortpflanzung der Tiere und die Babys haben auch Abnormalitäten.»
Die Ökotoxikologin Chèvre ist beunruhigt. Wir sitzen auf einer Zeitbombe, meint sie, denn eine Risikoabwägung gestalte sich aufgrund der immensen Menge von verschiedenen Stoffen schwierig.
«Ich denke, wir spielen Zauberlehrlinge. Schon der Fall des Pestizids DDT in den sechziger Jahren hat bereits gezeigt, dass man die Wirkung von chemischen Substanzen nicht kennt. Nun benutzen wir viel mehr Substanzen, sie können unbekannte Mischeffekte haben. Wir sollten uns dieses Problems bewusst werden.»
Pestizide bauen sich schlecht ab
Rückstände von Medikamenten oder Pestiziden sind sehr stabil und sie bauen sich schlecht ab. Sie kommen in winzigen Mengen vor in Nano-Gramm pro Liter, Millardstel Gramm pro Liter.
Die Kläranlagen können diese winzigen Stoffe, sogenannte Mikroverunreinigungen, nicht abbauen. Markus Sobaszkiewicz, Leiter der Abwasserkläranlage Flos in Wetzikon weiss warum: «Die heutigen Anlagen sind darauf ausgerichtet organische Substanzen, also Nährstoffe wie Ammoniumstickstoff oder Phosphor zu eliminieren. Die Mikroverunreinigungen sind in so winzigen Dosen im Abwasser, dass man sie mit den heutigen Verfahren nicht herausbringt.»
In den Kläranlagen bilden Sandfilter die letzte Reinigungsstufe. Die Sandkörner halten Phosphate zurück, nicht aber Rückstände aus Medikamenten-und Pestizden. Sie gelangen ungebremst in Bäche, Flüsse, Seen.
Was nach dem Spülen des WCs passiert
Rund 20 Stunden braucht es, bis aus dem Inhalt einer WC-Spülung wieder Wasser in Badequalität wird. «Espresso» erklärt, wie das geht: