Trotz Bemühungen um Preissenkungen: Die Medikamentenkosten steigen und steigen. Besonders markant sind die Preissteigerungen bei neuen MS- oder Krebs-Medikamenten. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) bewilligt Spitzenpreise, egal, wie billig das Medikament hergestellt werden kann und auch wenn der Zusatznutzen bescheiden ist. Wie absurd die Medikamentenpreise häufig sind, das zeigt «Kassensturz» anhand von drei Beispielen:
Beispiel 1: Zoladex
Das Medikament Zoladex wird gegen Prostata-Krebs gespritzt. Der Preis dieses Arzneimittels wurde seinerzeit vom BAG festgelegt. Seither schwankt er aber beträchtlich. Bis Anfang 2011 lag der Preis für Zoladex einigermassen stabil bei rund 750 Franken. Kurz vor Ablauf des Patents kündigten Konkurrenten günstigere Generika an. Deshalb senkte die Herstellerfirma Astra Zeneca den Preis deutlich auf 454 Franken – um wettbewerbsfähig zu bleiben. Als diese Generika aber später nicht auf den Markt kamen, stellte Astra Zeneca beim BAG einen Antrag auf Preiserhöhung. Das BAG bewilligte diesen. Der aktuelle Preis für Zoladex: 498 Franken.
Der Hersteller senkt den Preis freiwillig und das Amt erhöht ihn wieder? Astra Zeneca konnte bei diesem Preisdeal gezielt die Schwächen des Systems ausnutzen. Nachdem ein neues Medikament von Swissmedic die medizinische Zulassung erhalten hat, prüft das BAG den Preisvorschlag der Herstellerfirma. So funktioniert das System:
In einem ersten Schritt führt das Bundesamt für Gesundheit einen Auslandpreisvergleich mit sechs europäischen Ländern durch.
Therapeutischer Quervergleich:
In einem weiteren Schritt macht das Bundesamt für Gesundheit einen therapeutischen Quervergleich. Der Preis wird mit jenen von ähnlich wirkenden Medikamenten verglichen.
Doch beide Vergleiche haben gravierende Mängel:
- Als Vergleichsländer werden teure europäische Länder herangezogen. Zudem wird beim Vergleich ein hoher Euro-Wechselkurs angewendet. Und: Die üblichen Rabatte, die Krankenkassen im Ausland bekommen, berücksichtigt das BAG nicht. Das BAG stützt sich auf Studien der Pharmaindustrie, welche die Wirksamkeit der Medikamente fast nie direkt mit einander vergleichen, sondern jeweils nur mit einem Placebo.
- Der therapeutische Quervergleich findet vor allem mit neuen, teuren Medikamenten statt. Die Pharmaindustrie wehrt sich gegen Vergleiche mit günstigen, älteren Präparaten.
Astra Zeneca schreibt «Kassensturz», das Gesuch sei vom BAG genehmigt worden. Der neue Preis von Zoladex liege wesentlich unter dem Auslandpreisvergleich.
Mediziner Max Giger kann über diese Erhöhung nur staunen. Er war bis vor kurzem Präsident der Eidgenössischen Arzneimittelkommission. Diese berät das BAG bei der Preisfestsetzung. Er ist der Meinung, das BAG hätte die Preiserhöhung für Zoladex ablehnen können: «Die Anwendung bleibt gleich und es gibt keine Studien, die etwas neues gezeigt hätten.» Hier handle es sich um ein reines Angleichen an den Auslandpreisvergleich.
Auch Gesundheitsökonom Guido Klaus bemängelt das System vor allem aus Sicht der Wirtschaftlichkeit: «Das BAG ist verantwortlich, dass wir möglichst günstige Medikamentenpreise haben. In diesem Fall ist Zoladex angehoben worden, weil ein anderes vergleichbares Produkt teurer war. Es hätte aber umgekehrt passieren sollen. Man hätte das teurere auf das Niveau des günstigen senken sollen.»
Beispiel 2: Thalidomid
Wie absurd das jetzige System ist, zeigt sich insbesondere bei neuen MS- oder Krebs-Medikamenten. Deren Preise steigen ins Horrende. Beispiel: Talidomid – eingesetzt gegen Krebs – ist ein gut erforschter Wirkstoff. Die Herstellerfirma veränderte den Stoff. Das neue Medikament Revlimid ist ähnlich. Im Preis allerdings nicht: Gemessen am Wirkstoff ist das neue Arzneimittel rund 30 Mal teurer.
Krebs-Spezialist Thomas Cerny findet, man sollte den Nutzen, der eine bestimmte Entwicklung bringt, in Relation zum Preis setzen: «Nur weil ein Medikament neu ist, soll der Preis nicht gleich vervielfacht werden. Das war auch früher nicht so.» Doch das jetzige Preisfestsetzungs-System lässt solche Auswüchse zu.
Die Hersteller-Firma Celgene verteidigt den hohen Preis: «Revlimid ermöglicht ein signifikant längeres Überleben von durchschnittlich fast zwei Jahren. Celgene hat stärker in die Weiterentwicklung von Revlimid im Vergleich zu Thalidomide investiert.»
Beispiel 3: Campath
Ein besonders stossendes Beispiel ist das Krebs-Medikament Campath. Die Hersteller-Firma zog das Produkt europaweit zurück und lancierte die identische Substanz unter dem Namen Lemtrada als MS-Medikament. Zum 44-fachen Preis! Bei einer Zulassung in der Schweiz droht der gleiche Preissprung. Die Herstellerfirma Genzyme sagt, der Preis sei wegen eines hohen Zusatznutzens gegenüber der Konkurrenz gerechtfertigt.
Arzt Thomas Cerny kann es nicht verstehen: «Das Medikament war da und man kannte es gut. Und jetzt soll es in einer neuen Anwendung 40 Mal mehr kosten? Das kann man niemandem erklären.»
Der Branchenverband Interpharma will nichts von Mängeln im System wissen. Die gesamten Medikamentenkosten seien in den letzten drei Jahren kaum mehr gestiegen, die Preise im Vergleich zum Ausland kaum mehr höher. Geschäftsführer Thomas B. Cueni meint: «Wenn man die Fortschritte, die wir im Krebsbereich hatten, mit den Gesamtkosten der Krebsmedikamente ins Verhältnis setzt, dann sehe ich das Problem nicht.»
Dem widerspricht Medikamenten-Experte Max Giger deutlich. Seiner Meinung nach werden neue Präparate gemessen am Zusatznutzen oft masslos überbezahlt. Dabei nutzt die Pharma gezielt ihre starke Position gegenüber dem BAG aus. Im «Kassensturz» nimmt BAG-Vizedirektor Oliver Peters Stellung (siehe Video).