«Sie haben mir zwischen 200'000 und 400'000 Franken versprochen. So viel seien die Bücher mal wert. Ich dachte, auf das Alter hin wäre das gut, so einen Batzen mehr», sagt Samuel Gribi.
Seit 2010 haben er und seine inzwischen verstorbene Frau immer wieder Reproduktionen alter Bücher gekauft, sogenannte Faksimiles.
Zum Beispiel «Leonardo Da Vinci Zeichnungen», gekauft für 5999 Franken, den «Egbert Codex», gekauft für 9800 Franken, oder die «Vita des heiligen Georgs», gekauft für 13'999 Franken.
45'000 Franken für sieben Bücher
Insgesamt gaben Gribis in den letzten zehn Jahren rund 45‘000 Franken für Faksimiles aus. Eine gute Investition, dachten sie. Und das sagten auch die Verkäuferinnen und Verkäufer, die an der Haustüre klingelten.
«Die waren plötzlich da, ohne Voranmeldung. Ich konnte sie nicht zum Teufel jagen, ich wusste nicht, was sie wollten. Dann habe ich sie hereingelassen, sie haben die Bücher gezeigt und gesagt, wie viel sie kosten. Meistens bezahlte ich in Raten», erklärt Samuel Gribi.
Immer wieder besuchten Firmen aus Deutschland den Rentner in der Schweiz. Die meisten Bücher kaufte er von der deutschen Firma WK Wertkontor.
Zu jedem Buch gab es ein Zertifikat, eine Garantie, dass es sich tatsächlich um eine einzigartige «Prachtedition» handeln soll. Für Samuel Gribi waren diese Zertifikate der Beleg, dass seine Bücher sehr viel wert sind.
Doch sind die Bücher tatsächlich so wertvoll und eine gute Investition? Samuel Gribi wurde skeptisch und meldete sich beim «Kassensturz». Dieser zeigt die Exemplare dem Buchantiquar Peter Petrej. Er kennt sich sehr gut aus mit dieser Gattung Bücher und erstellte auch schon ein Faksimile-Gutachten für ein Gericht.
Ich glaube, die Zertifikate sind eigentlich bedeutungslos; sie sollen einfach etwas suggerieren, was nicht ist.
Seine Preis-Recherchen zeigen: Sämtliche Bücher sind viel weniger Wert. Ein Beispiel: Für «Leonardo da Vinci Zeichnungen» bezahlte Samuel Gribi 5999 Franken. Auf einer seriösen Online-Plattform ist es bereits ab 580 Euro zu haben. «Kassensturz» lässt die Bücher auch vom renommierten Zürcher Auktionshaus Koller schätzen. Dieses kommt auf noch tiefere Marktwerte.
Zu den Zertifikaten sagt Buchantiquar Peter Petrej: «Ich glaube, die Zertifikate sind eigentlich bedeutungslos; sie sollen einfach etwas suggerieren, was nicht ist.»
«Das ist Lug und Betrug»
«Kassensturz» klärt Samuel Gribi über die Preis-Recherche auf – dass seine Bücher nicht mehr, sondern massiv weniger wert sind. «Ich kann das nicht glauben, das ist Lug und Betrug», sagt Samuel Gribi.
Doch Samuel Gribi erhielt zu den Büchern jeweils eine Kundeninformation, wonach solche Produkte nicht als Wertanlage geeignet sind. Dieses Dokument unterschrieb er immer. Warum kaufte er die Bücher trotzdem? «Sie sagten mir, dass ich das nicht lesen müsse, sie hätten mir alles gesagt. So unterschrieb ich dann.»
Die Vertreter dieser Firmen gehen sehr geschickt vor, sie sind geschult und rhetorisch sehr geschickt.
Die Abzockmasche ist insbesondere in Deutschland bekannt. Die bayrische Polizei warnte bereits 2021 vor der «Betrugsmasche». Und die Polizei Berlin warnte in mehreren Fernsehsendungen vor Betrugsversuchen mit Faksimiles. Das Landeskriminalamt Berlin ermittelt derzeit in elf Fällen, wie eine Mediensprecherin gegenüber SRF erklärt.
2000 Opfer in Deutschland
Die deutsche Anwaltskanzlei von Wolfgang Schneider in Bielefeld betreut 2000 Opfer dieser Faksimile-Masche. «Die Vertreter dieser Firmen gehen sehr geschickt vor, sie sind geschult und rhetorisch sehr geschickt. Wir wissen von anonymen Quellen, dass sie sogar von Anwälten geschult werden. Mit diesem Vorgehen erwerben sie das Vertrauen der Betroffenen.»
Aktuell sind Wolfgang Schneider 30 Unternehmen bekannt, die auf diesem Markt tätig sind. In den meisten abgeschlossenen Fällen konnte Wolfgang Schneider Geld von Faksimile-Käufen zurückholen – mit grossem Aufwand.
«Die Besonderheit dieser Fälle ist, dass die Täuschung im Gespräch passiert; die älteren Menschen schämen sich oder können sich nicht immer genau an das Gespräch erinnern. Die Verkäufer agieren geschickt und versuchen, keine Spuren zu hinterlassen. Man muss dann mühselig zusammenrecherchieren, was tatsächlich passiert ist.»
Abzockmasche schadet seriösen Verlagen
Neben den Opfern sind es auch die seriösen Faksimile-Verlage, die unter der Abzockmasche leiden. «Der Ruf von Faksimiles wird durch solche Leute geschädigt», erklärt Gunter Tampe, Geschäftsführer des Quaternio Verlags Luzern.
Dieser produziert und verkauft weltweit Faksimiles an renommierte Bibliotheken, Museen und Sammler. «Wertsteigerungsversprechen sind verboten», erklärt Gunter Tampe, «Faksimiles sind etwas für Sammler und kein Investment».
In der Schweiz ist die Abzockmasche offenbar nicht weit verbreitet. Die Polizeikorps aus den Kantonen Aargau, Freiburg, Waadt, Zürich, Bern und St. Gallen erklärten auf Anfrage, dass keine Fälle bekannt seien. Einzig im Kanton St. Gallen ist ein Fall eines «Haustürverkäufers» bekannt, der zu zwei verschiedenen Zeitpunkten solche überteuerten Bücher an dieselben Personen verkaufen wollte.
Die Firma WK Wertkontor aus Deutschland, die Samuel Gribi mehrere Faksimiles verkaufte, wollte auch auf mehrmalige Anfrage keine Stellung zu den Vorwürfen nehmen.