Zum Inhalt springen

Klein gegen Gross Sammelklagen europaweit – Schweizer Konsumenten gehen leer aus

Bei Ärger mit grossen Firmen ist man in der Schweiz bisher am kürzeren Hebel. Nun berät das Parlament ein neues Gesetz.

Eine fehlerhafte Serie künstlicher Hüftgelenke, faltbare Handys, die reihenweise den Geist aufgeben, grundlos abgesagte Ferienflüge: Wenn grosse Firmen sich fragwürdig verhalten, bleiben Konsumentinnen und Konsumenten heute oft auf dem Schaden sitzen. Besonders, wenn die verlorenen Summen zu klein sind, um das Risiko eines Gerichtsprozesses einzugehen. 

In der EU gibt es Abhilfe: Mitgliedstaaten müssen Sammelklagen ermöglichen. Laut Elizabeth Bragina vom europäischen Konsumenten-Dachverband BEUC zeigt das Wirkung. «Weil es die Sammelklage-Möglichkeiten gibt, sind Firmen bei möglichen Rechtsverletzungen vorsichtiger und die Konsumierenden besser geschützt.» 

Schweiz diskutiert Gesetz seit Jahren 

Das Schweizer Recht sei hingegen traditionell wirtschaftsfreundlicher, sagt Sara Stalder von der Stiftung für Konsumentenschutz. «Wir sehen täglich Fälle, in denen Leute zwar im Recht sind und klar betrogen wurden. Aber wir müssen ihnen raten: ‹Gehen Sie nicht vor Gericht, Sie würden den finanziellen Ruin riskieren.›»  

Seit Jahren wird in der Schweiz über ein Gesetz diskutiert, das Sammelklagen ermöglicht. Im März kommt eine Vorlage in den Nationalrat. SVP, FDP und Mitte-Partei äusserten sich in den Vorberatungen gegen das neue Gesetz. «Es gibt in der Schweiz schon genug einfache und kostengünstige Möglichkeiten, um vor Gericht oder vor einen Friedensrichter zu gehen», argumentiert Mitte-Fraktionschef Philipp Matthias Bregy.

Er nennt auch die «kollektive Streitgenossenschaft», die schon heute im Gesetz vorgesehen ist. Allerdings trägt dabei jeder Kläger das finanzielle Risikodes Prozesses allein. «Wer klagt und schlussendlich den Schaden nicht beweisen kann, soll das Risiko des Prozesses tragen. Das ist ganz wichtig in unserem Rechtssystem», sagt Bregy.

Genau hier liege das Problem am heutigen Gesetz, sagt Sara Stalder. «Nur Leute mit einem wirklich gut gefüllten Portemonnaie können in der Schweiz vor Gericht gehen.»

Amerikanisierung befürchtet 

Die Wirtschaft warnt vor einer Amerikanisierung des Rechtssystems. «Wir befürchten, dass aus den Sammelklagen ein Business wird», sagt Gabriel Rumo vom Verband Swissholdings.

Rechtsexpertin erwartet weder Klagewelle noch Prozessindustrie

Box aufklappen Box zuklappen

Tanja Domej ist Professorin für internationales Recht an der Universität Zürich. Sie hat für Bund und Parlament die möglichen Folgen des neuen Gesetzes untersucht. «In der EU gibt es seit der Einführung von entsprechenden Gesetzen pro Jahr Klagen im tiefen dreistelligen Bereich. In Relation zu den vielen Millionen Unternehmen ist das keine Flut.»

Eine gewisse Zunahme von Konsum-Prozessen sei gewollt – genau deshalb würden entsprechende Gesetze ja eingeführt. Daran, was rechtens ist und was nicht, würde sich nichts ändern.

Spezialisierte internationale Anwaltskanzleien könnten sich in der Schweiz ansiedeln – und damit eine Klageindustrie, die Schauprozesse anstrebe, nur um daraus Gewinn zu schlagen.  

Drittfinanzierung wäre nötig 

«Grosse Sammelklagen kosten sehr viel Geld. Das könnten wir unmöglich alleine stemmen», sagt Konsumentenschützerin Sara Stalder. Um hunderte oder tausende Klagen zu sammeln, vor Gericht zu bringen und um die Prozessrisiken zu tragen, brauche es externe Geldgeber.

Diese Alternativen schlagen die Gegner des neuen Gesetzes vor

Box aufklappen Box zuklappen

Statt Sammelklagen schweben den Gegnern des Gesetzes andere Lösungen vor: Ähnlich wie in Dänemark solle man das System von Ombudsstellen ausbauen und schlagkräftiger machen.

Diese sollen die Möglichkeiten von künstlicher Intelligenz besser nutzen, um tausende Schadensfälle auszuwerten und zu bündeln.

Im Ausland sind dies Prozessfinanzierer, die sonst grosse Wirtschaftsprozesse sponsern. Ist die Klage erfolgreich, erhalten diese Firmen rund ein Viertel des Erlöses. «Die Rendite ist für Investoren sehr hoch – ein sehr profitables Geschäft», kritisiert Philipp Matthias Bregy von der Mitte-Partei.  

Vorkehrungen gegen Prozessindustrie 

Allerdings wären im Schweizer Modell Hürden eingebaut, um eine Prozessindustrie zu verhindern: So wäre es etwa ausgeschlossen, dass Firmen einen Prozess gegen einen Konkurrenten finanzieren. Zudem dürften nur Non-Profit-Organisationen eine Sammelklage führen.  

Kassensturz, 25.2.25, 21:10 Uhr

Meistgelesene Artikel