In der Schweiz gibt es rund 40'000 bezahlte Praktikumsstellen. Potenziell wertvolle Ausbildungen, die Türen öffnen. Doch drei junge Menschen berichten Kassensturz, wie sie im Praktikum ausgebeutet statt ausgebildet wurden.
Juristisches Sorgenkind
Das Schweizer Praktikumswesen ist eine rechtliche Grauzone. Es gibt keine gesetzlichen Regulierungen für Praktikumsdauer, -lohn und ausbildung. Für alle Praktika gilt aber: Man muss etwas lernen können.
Den ganzen Tag nur Fliessbandarbeit verrichten oder abliefern wie eine volle Arbeitskraft, beides ist missbräuchlich. Tiefe Löhne sind nur gerechtfertigt, wenn Arbeitgebende ihre Praktikantinnen und Praktikanten tatsächlich ausbilden und dafür Ressourcen investieren.
Ungleichgewicht der Mächte
In missbräuchlichen Arbeitsverhältnissen können sich Praktikantinnen und Praktikanten kaum wehren. Die Rechtslage ist dürftig und ihre Verhandlungsmacht gering, sagt Roger Rudolph, Professor für Arbeitsrecht an der Universität Zürich. Wer die Konditionen der Arbeitgebenden nicht akzeptiert, setzte die Stelle aufs Spiel. Es gäbe immer eine Person, die den Job für weniger macht.
Dazu kommt: Praktikantinnen und Praktikanten verbünden sich kaum, um ihre Rechte einzufordern. Zu absehbar sind die Arbeitsverhältnisse und zu gross ist die Angst, sich die eigene Zukunft zu verbauen.
Scheinpraktika
Die Gewerkschaft Travail Suisse will Missstände im Praktikumswesen bekämpfen. Sie fordert verbindliche Mindestregulierungen von Praktikumsdauer, Lohn und Ausbildung. Thomas Bauer, Verantwortlicher für Wirtschaftspolitik, erklärt, wieso Arbeitgebende unter dem Tarnmantel von Praktika heute Lohnkosten sparen können:
Für Einstiegsstellen braucht man, wie für ein Praktikum, keine Berufserfahrung. Man erhält aber auch keine Ausbildung und darum den vollen Lohn.
Die Anzahl Praktika hat sich seit den Neunzigerjahren verdoppelt. Nach Corona haben Praktikumsstellen zwar abgenommen, die Probleme aber, sind geblieben.
Politische Forderungen
Es fehlen zuverlässige Studien und Informationen über das Praktikumswesen in der Schweiz. Darum ist es schwierig, das Ausmass der Probleme zu erfassen. Die Dunkelziffer missbräuchlicher Praktika ist vermutlich gross, meint Nationalrat Samuel Bendahan. Er will die Position von Praktikantinnen und Praktikanten stärken.
Seine Motion wurde 2022 von der bürgerlichen Mehrheit abgelehnt. Zu aufwändig und kostspielig sei die Umsetzung, hiess es damals. Doch Bendahan hält an seinen Forderungen fest und verlangt mehr Informationen über die Situation von Praktikantinnen und Praktikanten.
Wenn das genaue Ausmass des Problems klar sei, würde es einfacher, gezielte Massnahmen zu ergreifen. Er ist überzeugt, dass geregelte Praktika der Gesellschaft mehr nützen als sie kosten.
Auch Saras* Praktikumserfahrung zeigt, es gibt Handlungsbedarf. Als Unterassistenzärztin arbeitete sie auf der Traumatologie oft mehr als 50 Stunden in der Woche. Sie war verantwortlich für Patientinnen und Patienten und eine volle Arbeitskraft. Die Ausbildung kam zu kurz.
Fazit: mehr Schutz
Ein Praktikum kann eine wichtige und gute Ausbildung sein. Ohne verbindliche Regulierungen können Praktikantinnen und Praktikanten aber als billige Arbeitskräfte missbraucht werden. Sie müssen geschützt werden, denn sie sind immer in der schwächeren Position.
*Name geändert