Der Fall: Gratis-Shooting wird zur Kostenfalle
Livia T. wünschte sich schon lange professionelle Fotos von sich. Umso glücklicher ist sie, als sie an einer Gewerbeausstellung einen Gutschein für ein kostenloses Foto-Shooting gewinnt.
Nach dem Shooting wird jedoch klar: Gratis war nur das Shooting. Für die Bilder soll Livia T. plötzlich 1200 Franken bezahlen. Die junge Frau weigert sich. Um andere zu warnen, wendet sie sich an den «Kassensturz».
Nach Ausstrahlung des Beitrages melden sich weitere Betroffene. Viele machen ihrer Enttäuschung auf dem Online-Forum Luft. Das kritisierte Studio weist alle Vorwürfe zurück und geht auf die ehemalige Kundin los. Livia T. wird betrieben. Das Fotostudio fordert sage und schreibe 50'000 Franken Schadenersatz wegen angeblicher «Geschäftsschädigung». Durch den Bericht im «Kassensturz» seien andere Kunden abgesprungen.
Livia T. erhebt Rechtsvorschlag. Kurze Zeit später bekommt sie eine Einladung vom Friedensichteramt Winterthur.
Das steht im Gesetz: Versteckte Klauseln sind ungültig
Der Fotograf begründet seine horrende Forderung damit, dass sich Livia T. nicht hätte an den «Kassensturz» wenden dürfen. Als Vertragspartnerin habe sie eine «Pflicht zur umfassenden Rücksichtnahme», schreibt der Anwalt in seiner Klage. Die junge Frau hätte seiner Meinung nach ihre Loyalitätspflicht verletzt, indem sie an den Kassensturz herangetreten sei und dort offenbar haltlose und falsche Behauptungen über die Angebote gemacht habe.
Im Vertrag sei Livia T. nämlich auf die zusätzlichen Kosten hingewiesen worden. Der Fotograf dagegen habe sich nichts vorwerfen zu lassen.
Doch Livia T. war nicht die einzige Kundin, die von den zusätzlichen Kosten für das Shooting überrascht worden war. Viele junge Frauen sagen nach dem Beitrag das Shooting ab, weil sie sich die teuren Bilder nicht leisten können.
Auf dem Gutschein findet sich tatsächlich im Kleingedruckten ein Hinweis, dass man nach dem Shooting die Bilder auswählen und «käuflich erwerben» könne. Doch laut Gerichtspraxis sind solche Vertrags-Klauseln ungültig, wenn ein Konsument schlichtweg nicht mit ihnen rechnen muss. Wer also ein «Gratis»-Foto-Shooting gewinnt, muss nicht damit rechnen, später hunderte oder gar tausende von Franken für die Bilder bezahlen zu müssen.
Die Lösung: Das Fotostudio geht nicht vor Gericht
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Zur Verhandlung vor dem Friedensrichteramt in Winterthur erscheint der Inhaber des Fotostudios mit seiner Anwältin. Auf die kritischen Fragen der Richterin reagiert er aggressiv. Mehrmals muss sie ihn zur Ruhe ermahnen.
Nach knapp einer Stunde schliesst die Friedensrichterin die Verhandlung und stellt dem Fotografen den so genannten Weisungsschein aus. Jetzt muss der Fotograf innerhalb von 30 Tagen Klage beim Gericht einreichen.
Doch die Frist verstreicht ungenutzt. Offenbar hat die Anwältin den Inhaber des Fotostudios davon überzeugen können, dass er mit seiner Forderung vor Gericht keine Chance hätte.
Denn: Es war das gute Recht von Livia T., sich an den «Kassensturz» zu wenden und so andere vor den zweifelhaften Geschäftspraktiken des Fotografen zu warnen.
Für Livia T. ist die äusserst unangenehme Sache nun ausgestanden. Zwar hätten ihr die Betreibung und die Verhandlung vor der Friedensrichterin schlaflose Nächte bereitet, schreibt sie der Redaktion: «Aber ich habe mich vom Kassensturz zu jeder Zeit super unterstützt gefühlt.»