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Rechtsfrage: Darf der Chef für Fehler Überstunden streichen?
Aus Espresso vom 08.09.2016. Bild: Colourbox
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Arbeitsrecht Darf der Chef für Fehler Überstunden streichen?

In einer Praxis führt der Zahnarzt für jede seiner Angestellten eine «Strichliste». Jeder Fehler wird mit einem Strich notiert. Am Monatsende gibt es pro Strich eine Stunde Abzug von der Überzeit. «Espresso» erklärt die Rechtslage und sagt, wie sich Betroffene gegen solche Schikanen wehren können.

Wenn es nötig ist, müssen Angestellte Überstunden leisten. Dazu sind sie verpflichtet. Diese Stunden müssen ihnen laut Gesetz mit einem Zuschlag von 25 Prozent entschädigt und bezahlt werden.

Vor dieser Pflicht will sich offenbar ein Arbeitgeber aus dem Raum Bern drücken. Anders lässt sich die Regel kaum erklären, die der Zahnarzt in seiner Praxis eingeführt hat. Eine Mitarbeiterin schreibt dem Konsumentenmagazin «Espresso» von Radio SRF 1, dass der Chef für jeden seiner Angestellten eine Art «Strichliste» führe. Jeder Fehler würde auf dieser Liste notiert. Am Monatsende dann ziehe der Arbeitgeber auf den Stundenrapporten seiner Angestellten pro Fehler respektive Strich eine Stunde vom Überstundenguthaben ab.

Was der Chef da macht, ist stossend und gesetzeswidrig

«Darf er das wirklich?», möchte die verunsicherte Mitarbeiterin wissen. Die Antwort ist klar: Ein Arbeitgeber darf nicht Fehler mit Lohnabzügen bestrafen. Das Vorgehen dieses Zahnarztes ist nicht nur stossend, sondern auch gesetzeswidrig.

Zwar können Angestellte zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie unsorgfältig arbeiten. Aber nur dann, wenn dem Arbeitgeber dadurch ein Schaden entsteht. Zudem muss einem Angestellten ein Verschulden vorgeworfen werden können. Das ist der Fall, wenn er fahrlässig oder absichtlich gehandelt hat.

Was heisst «fahrlässig» handeln?

Leicht fahrlässig handelt ein Angestellter, wenn er unkonzentriert, unsorgfältig arbeitet und etwas nicht beachtet, was er bei genauerem Überlegen hätte bedenken müssen. Bei der mittleren und groben Fahrlässigkeit lässt jemand ausser Acht, was jeder vernünftige Mensch in dieser Lage bedacht hätte. Der Unterschied dieser beiden Fahrlässigkeitsbegriffe wirkt sich bei der Haftung aus: Im Arbeitsverhältnis haften Angestellte bei leichter Fahrlässigkeit in der Regel nicht für einen Schaden. Bei mittlerer und grober Fahrlässigkeit kann ein Angestellter beschränkt oder voll haften. Letzteres kommt aber sehr selten vor. Bei der Bemessung des Schadenersatzes spielt immer auch ein Rolle, wie alt und wie erfahren ein Angestellter ist und welches Risiko der Beruf mit sich bringt.

Zur Illustration drei Beispiele:

  • Verursacht ein Chauffeur beim Einparken eine leichte Beule, kann ihn der Arbeitgeber dafür nicht haftbar machen. Das Verschulden wiegt nicht schwer und Chauffeure haben ein sehr hohes Berufsrisiko.
  • Anders, wenn der Chauffeur es versäumt, trotz Warnhinweis auf dem Armaturenbrett rechtzeitig Öl nachzufüllen und deshalb ein Schaden am Motor entsteht. Hier kann ihm der Arbeitgeber einen Teil des Schadens verrechnen.
  • Verursacht ein betrunkener Chauffeur einen Unfall mit Sachschaden, kann ihm der Arbeitgeber den ganzen Schaden in Rechnung stellen. Hier liegt ein grobes Verschulden vor.

Diese gesetzliche Regelung darf nicht zuungunsten der Angestellten verschärft werden. Vertragsklauseln, wonach zum Beispiel das Minus in der Kasse den Angestellten vom Lohn abgezogen wird, sind ebenso ungültig und nicht haltbar, wie wenn Angestellte mit Überstunden für ihre Fehler büssen sollen.

Wer hilft betroffenen Angestellten?

Was aber, wenn der Chef nicht mit sich reden lässt und man seinen Job nicht aufs Spiel setzen möchte? Am besten schliessen sich Betroffene im Betrieb zusammen und suchen gemeinsam das Gespräch mit dem Vorgesetzten oder mit der Betriebsleitung.

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Oder sie suchen Hilfe bei der Gewerkschaft. Angestelltenvertretungen können beim Arbeitgeber intervenieren, ohne den Namen der Betroffenen zu melden. Das gleiche gilt für die kantonalen Arbeitsinspektorate. Sie müssen die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Bestimmungen in den Betrieben kontrollieren. Auch sie nehmen Hinweise entgegen, ohne gegenüber dem Arbeitgeber den Namen zu nennen.

Auch die Zahnärztegesellschaft hat Sanktionsmöglichkeiten

Im konkreten Beispiel kann sich die Praxisassistentin darüber hinaus an die Zahnärztegesellschaft (SSO) wenden. Diese Gesellschaft wird zunächst das Gespräch mit dem Arzt suchen. Zeigt er sich nicht einsichtig oder kommt es zu wiederholten Verstössen, kann die Zahnärztegesellschaft den betroffenen Kollegen bei der Stellenvermittlung sperren, oder ihm die Erlaubnis entziehen, Lernende auszubilden. In ganz besonders schlimmen Fällen droht einem Zahnarzt ein Standesverfahren und der Ausschluss aus der Gesellschaft. Auf Nachfrage von «Espresso» sichert auch die Zahnärztegesellschaft zu, bei einer Intervention auf Wunsch der Angestellten deren Namen nicht preiszugeben.

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