Die Rechtslage kurz erklärt:
Was bei unfreiwilligen Minusstunden gilt, ist im Obligationenrecht geregelt (Art. 324). Dort heisst es: «Kann die Arbeit infolge Verschuldens des Arbeitgebers nicht geleistet werden oder kommt er aus anderen Gründen mit der Annahme der Arbeitsleitung in Verzug, so bleibt er zur Entrichtung des Lohns verpflichtet, ohne dass der Arbeitnehmer zur Nachleistung verpflichtet wäre.»
Hat ein Arbeitgeber beispielsweise vergessen, die Arbeitsbewilligung für eine Angestellte einzuholen – oder generiert er zu wenig Aufträge und hat deshalb zu wenig Arbeit für seine Angestellten, muss er ihnen den Lohn dennoch weiterbezahlen. Die ausgefallenen Stunden müssen Angestellte später nicht nacharbeiten, ebenso wenig dürfen die ausgefallenen Stunden mit Überstunden oder Ferientagen verrechnet werden.
Typische Fälle von unfreiwilligen Minusstunden
Bei «Espresso» melden sich immer wieder Angestellte, die unfreiwillig ein «Minus» auf der Zeitabrechnung aufweisen:
- Eine Hörerin war nach einer Operation drei Monate arbeitsunfähig. Bei ihrer Rückkehr an den Arbeitsplatz rechnete ihr der Chef vor, durch den Ausfall hätten sich im Zeiterfassungssystem 85 Minusstunden angesammelt. Diese müsse sie nacharbeiten.
- Während der Corona-Pandemie meldetet sich Angestellte, die aufgrund der Schutzmassnahmen vorübergehend nicht arbeiten durften. In vielen solcher Fälle verlangten die Vorgesetzten, dass die Angestellten die ausgefallenen Stunden später nacharbeiten oder wollten sie mit Ferienguthaben verrechnen.
- Auch ein Angestellter eines Elektro-Unternehmens sollte sich Minusstunden vom Ferienguthaben abziehen lassen. Grund: Wegen eines Netzwerkausfalls stand der Betrieb einen Nachmittag lang still.
Auf all diese Fälle kommt der oben zitierte Artikel aus dem Obligationenrecht zur Anwendung. Kann eine Angestellte ihre Arbeit nicht ausführen, weil der Arbeitgeber ihr keine Arbeit zuweisen oder die Arbeitsleitung nicht annehmen kann, hat sie dennoch Anspruch auf den vollen Lohn und muss die Zeit weder nacharbeiten noch sie sich von Ferien abziehen lassen.
So können sich Angestellte wehren
Betroffene Angestellte sollten bei ihren Vorgesetzten schriftlich verlangen, dass die Minusstunden gestrichen werden. Wer dabei abgewimmelt wird oder auf taube Ohren stösst, kann sich Unterstützung bei einer Gewerkschaft holen.
Manche Angestellte möchten aber keinen Konflikt riskieren und verzichten auf ihre Ansprüche. Hier ist es gut zu wissen, dass Forderungen aus einem Arbeitsverhältnis erst nach fünf Jahren verjähren. Es ist also möglich, die Nachzahlung der Minusstunden erst später zu fordern, zum Beispiel bei einem Stellenwechsel.