Beim Lesen des Briefes habe sie fast der Schlag getroffen, erzählt eine «Espresso»-Hörerin aus einer Zürcher Seegemeinde. Ohne Vorwarnung schickt ihr der Vermieter einen eingeschriebenen Brief. Im Couvert: Die Kündigung der Wohnung. Grund: Eigenbedarf.
Eine neue Bleibe zu suchen, wird schwierig. In der betreffenden Wohngemeinde sind günstige Wohnungen rar. Dazu kommt ein weiteres Problem: Die Frau wohnt seit 20 Jahren dort und möchte sich einbürgern lassen. Ein Umzug in eine andere Gemeinde würde diese Pläne für Jahre blockieren.
Eigenbedarf des Vermieters schliesst eine Erstreckung nicht aus
«Kann ich die Kündigung unter diesen Umständen anfechten?», möchte die Frau deshalb vom Konsumentenmagazin «Espresso» von Radio SRF 1 wissen.
Mieterinnen und Mieter können sich gegen eine Wohnungskündigung wehren und bei der Schlichtungsbehörde eine Erstreckung des Mietverhältnisses beantragen.
Entgegen einem weit verbreiteten Irrtum ist eine Erstreckung auch möglich, wenn der Vermieter Eigenbedarf geltend macht. Wenn er die Wohnung also für sich oder für Angehörige nutzen will. In der Praxis kommt es immer wieder vor, dass dieser Eigenbedarf gar nicht besteht, sondern nur vorgeschoben ist. Aus diesem Grunde rät der Mieterinnen- und Mieterverband, Kündigungen anzufechten und von der Schlichtungsstelle prüfen zu lassen. Wichtig: Das Verfahren vor der Mietschlichtungsstelle ist kostenlos.
Stellt sich heraus, dass der Eigenbedarf vorgeschoben wird, ist die Kündigung missbräuchlich und damit unwirksam. Ist dagegen ein Eigenbedarf nachgewiesen, so kann eine Mieterin eine Erstreckung des Mietverhältnisses um höchstens vier Jahre verlangen.
Für eine Erstreckung braucht es Härtegründe
Dazu muss die Mieterin belegen können, dass sie die Kündigung besonders hart trifft oder dass es für sie schwierig bis unmöglich ist, bis zum Ablauf der Kündigungsfrist eine andere Wohnung zu finden. Als Härtegründe gelten beispielsweise eine lange Mietdauer, eine starke Verwurzelung am Wohnort oder wenn Kinder unter dem Schuljahr die Schule wechseln müssten.
Auch ein laufendes Einbürgerungsverfahren wie im Beispiel der «Espresso»-Hörerin kann als Härtegrund gelten. Bei einer Einbürgerung wird verlangt, dass die betreffende Person zwischen zwei und fünf Jahren in der Gemeinde lebt, in der sie sich einbürgern lassen möchte. Deshalb ist die «Espresso»-Hörerin darauf angewiesen, innerhalb der Gemeinde eine neue Wohnung zu finden. Angesichts des dortigen Wohnungsmarktes ein schwieriges Vorhaben.
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Je dringender der Eigenbedarf, je kürzer die Erstreckungsdauer
Beim Entscheid über die Erstreckung und über die Dauer der Erstreckung würde die Mietschlichtungsbehörde oder das Gericht die Interessen des Vermieters und die der Mieterin gegeneinander abwägen. Im Verfahren muss die Mieterin belegen können, dass die Wohnungssuche schwierig ist. Das bedeutet, sie muss Suchbemühungen nachweisen. Aber nicht nur die Situation der Mieterin wird beleuchtet. Geprüft wird auch, wie dringend der Eigenbedarf des Vermieters ist. Dabei gilt: Je dringender sein Eigenbedarf, je kürzer die Erstreckungsdauer.
Hat die Mieterin ihr Einbürgerungsgesuch bereits gestellt und stellt sich heraus, dass der Vermieter sein Vorhaben ohne Nachteile noch aufschieben könnte, darf sie damit rechnen, dass ihr das Mietverhältnis bis zum Abschluss ihres Einbürgerungsverfahrens erstreckt wird.
Betroffene sollten sich Hilfe beim Mieterverband holen
Höchstrichterliche Urteile zu diesem Thema gibt es keine. Dennoch schätzt der Mieterinnen- und Mieterverband – gestützt auf die Praxis vor den Schlichtungsbehörden und Mietgerichten – die Chancen der «Espresso»-Hörerin auf eine Erstreckung als «realistisch» ein. Bis es zu einem Entscheid kommt, sollte sie sich dennoch um eine neue Wohnung bemühen. Und: Obschon für das Verfahren vor der Mietschlichtungsbehörde der Beizug eines Anwalts nicht vorgeschrieben ist, lohnt es sich, sich rechtlich beraten zu lassen.