Eine «Espresso»-Hörerin kritisiert: «Auf der Verpackung von Tomaten und Erdbeeren sind wunderschöne Naturlandschaften abgebildet. Dabei stammen diese Früchte aus Hors-Sol-Produktion. Sie haben also noch nie einen Boden gesehen. So etwas unterstütze ich nicht.»
Substrate statt Boden: Diese Hors-Sol-Technik benützen Schweizer Bauern schon seit Ende der 1980er-Jahre. Als das damals aufkam, gab es einen Riesenaufschrei in der Bevölkerung, die Kritik hält zum Teil bis heute an. Aber was steckt dahinter? Auch Hors-Sol hat sich in der Produktion weiterentwickelt.
Was genau ist Hors-Sol?
Wenn man von Hors-Sol spricht, muss man sich in erster Linie ein Gewächshaus vorstellen. Darin sind auf Brusthöhe eine Art Regenrinnen montiert, in denen die Kokosfasern liegen.
In diese Fasern werden dann die Setzlinge - vorwiegend Tomaten - gepflanzt und durch einen Schlauch mit Wasser und Nährstoffen versorgt. Darüber spannt der Bauer eine weisse Folie zum Schutz.
Vorteile von Substratkulturen
Was nach Science-Fiction aussieht, habe enorme Vorteile, erklärt Timo Weber, stellvertretender Direktor des Verbandes der Schweizer Gemüseproduzenten: «Das ganze Bewässerungs- und Nährsystem ist ein geschlossener Kreislauf.
Das heisst, das überschüssige Wasser fliesst wieder zurück und wird neu aufbereitet. So ist alles exakt abgestimmt, und es kann viel Wasser gespart werden. Ausserdem wird der Boden so nicht belastet.»
Weniger Pflanzenschutzmittel
Ein weiterer Pluspunkt der Hors-Sol-Produktion ist die Eindämmung von Krankheiten. Dadurch dass die Pflanzen in Substrate und nicht im Boden wachsen, können sie von Bodenkrankheiten wie zum Beispiel dem Bodenpilz nicht befallen werden.
So sparen die Bauern Pflanzenschutzmittel, erklärt Timo Weber. Entscheidend für die Gemüseproduzenten: Mit dem Hors-Sol-Anbau ist die Ernte um einen Drittel grösser als im herkömmlichen Gewächshaus-Anbau.
Schweizer Tomaten aus Substratkulturen
Als besonders geeignet für den Hors-Sol-Anbau gelten Tomaten, Gurken und Auberginen. Bereits 40 Prozent aller Schweizer Tomaten stammen aus Hors-Sol-Produktion. Aber auch Früchte wie beispielsweise Erdbeeren kommen in der Schweiz nicht nur aus dem Boden, sondern auch aus Substraten.
«Das entspricht nicht dem Naturgedanken»
Bio und Hors-Sol, das passe wie die Faust aufs Auge, sagt Hans Ramseier von Bio-Suisse. Er ist für die Qualitätssicherung und Entwicklung der Biokulturen zuständig und kann ob solchen Anbauarten nur den Kopf schütteln: «Hors-Sol ist industrielle Landwirtschaft in Reinkultur. Ausserdem ist sehr energie und ressourcen-intensiv, denn Hors-Sol-Kulturen sind auf ganzjährige Heizung angewiesen.»
Gleich viel Energie wie normaler Gewächshausanbau
Hors-Sol braucht tatsächlich viel Energie, vorausgesetzt der Gemüseproduzent möchte seine Ware schon früh in der Saison anbieten. Dann muss er nämlich das Gewächshaus beheizen.
Das sei aber ungefähr der gleiche Energieaufwand wie bei herkömmlichen Gewächshausproduktionen, sagt Alex Mathis, Forscher und Dozent im Bereich Hortikultur an der Zürcher Hochschule ZHAW in Wädenswil.
Keinen Unterschied in Geschmack und Vitaminen
Wie sieht es aber mit Geschmack und Vitaminen aus? Schmeckt eine Tomate, die im Substrat gezogen wurde, wirklich gleich wie eine Bodentomate? Ja, sagt Wissenschaftler Alex Mathis: «Weder in Geschmack, noch was die Vitamine betrifft, konnte in diversen Studien je ein gravierender Unterschied belegt werden. Allerdings sind die Studien noch nicht so umfassend, um eine definitive Aussage zu machen.»
Nachteile von Hors-Sol Produktionen
Das Kokossubstrat wird extra in die Schweiz eingeschifft, kommt also rein energietechnisch von weit her. Ein weiterer negativer Punkt der Hors-Sol Produktion: der Abfall. Zwar ist das Substrat auf den Feldern abbaubar, doch den Plastik, der das Substrat umhüllte, müssen die Bauern am Ende der Saison wegwerfen.
Hors-Sol besser als ihr Ruf
Alles in Allem gibt der Dozent und Forscher der Hochschule Wädenswil, Alexis Mathis, den Hors-Sol Kulturen eine gute Note: «Auch wenn der Gedanke daran komisch ist, Tomaten aus Substrate sind einwandfrei.»
Letztlich ist es also eine ethische Frage, die jeder Konsument und jede Konsumentin für sich entscheiden muss. Wichtig noch zu wissen: Eine Deklarationspflicht für Hors-Sol-Produkte gibt es nicht in der Schweiz. Viele Verkaufstellen geben die Herkunft aber trotzdem an, denn es gibt eine Abmachung zwischen den Gemüse- und Obst-Verbänden und dem Konsumentenforum.