Als der Bundesrat Ende April erste Lockerungsschritte bekanntgibt, ist auch eine 74-jährige Hörerin des SRF-Konsumentenmagazins «Espresso» aus Basel erleichtert. Endlich würde sie wieder einmal zur Dentalhygiene gehen können. Oder Termine buchen beim Masseur, beim Osteopathen oder der Pilates-Gruppe.
Wegen des Alters nicht erwünscht
Doch es folgt ein arger Dämpfer: Zahnarzt, Masseur, Osteopath und Pilates-Kurs wollen sie abwimmeln. Begründung: Sie gehöre zur Risikogruppe. Sie habe regelrecht dafür kämpfen müssen, dennoch einen Termin zu bekommen, erzählt sie. Doch beim Zahnarzt, zum Beispiel, habe man ihr erneut signalisiert, sie sei nicht erwünscht.
Die 74-Jährige sagt: «Ich fühle mich stigmatisiert.» Dabei sei sie noch gesund und fit. Sie führt überdies auch noch eine Einzelfirma, mit der sie Unternehmen in Sachen Personalwesen berät.
BAG: Keine Änderung geplant
Schuld an der Ausgrenzung sind ihrer Ansicht nach die Corona-Empfehlungen des Bundes, wonach weiterhin alle 65-Jährigen zur Risikogruppe gezählt werden. Die Hörerin findet, es wäre viel sinnvoller, zu differenzieren und die Empfehlungen vermehrt auf Personen zu fokussieren in einer schlechten gesundheitlichen Verfassung oder mit Vorerkrankungen. So könne der Stigmatisierung entgegengewirkt werden.
Beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) heisst es auf Anfrage, vorderhand bleibe die Hoch-Risikogruppe so definiert, sprich: Menschen ab 65 gelten auch weiterhin generell als besonders gefährdet und sollen auch besonders vorsichtig sein.
alt Bundesrätin fordert Differenzierung
Diese Empfehlung sei am Anfang der Coronakrise und des Lockdowns noch sinnvoll gewesen, aber unterdessen überholt, sagte hingegen alt Bundesrätin und Pro-Senectute-Stiftungsratspräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf Mitte Mai in der SRF-Talksendung «Gredig direkt»: Aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse würden zeigen, dass man ab 65 nicht automatisch zu den besonders Gefährdeten gehöre.
Viel relevanter als das Alter sei die Frage der Vorerkrankungen. «Diese Unterscheidung muss man viel stärker machen, sonst wird langfristig tatsächlich die ganze Gruppe der Ü-65-Jährigen stigmatisiert.»
Tatsächlich konnte man in der Presse schon mehrfach über Vorfälle lesen, bei denen Senioren in der Öffentlichkeit nur wegen ihres Alters angepöbelt und beschimpft wurden. «Das kann es nicht sein», so Widmer-Schlumpf.