23 Franken pro Stunde brutto war der Anfangslohn einer Call-Agentin der Firma Walter Services von Dübendorf. Sie arbeitete im Auftrag von Swisscom und schildert ihre Arbeitsbedingungen als prekär: die Staubwalzen unter den Arbeitstischen, unsaubere Toiletten und schmuddlige Bürostühle.
Das habe sie ja noch ertragen. Am meisten ärgerte sie aber, dass Arbeitszeiten manchmal am selben Tag verschoben wurden oder sogar ganz gestrichen wurden. Zum Beispiel bei einem System-Ausfall.
Bei Systemabsturz keine Arbeit
«Bei relativ kurzen Ausfällen wurde das bezahlt. Bei langen Ausfällen nicht. Und wenn absehbar war, dass das System bis 5 oder 6 nicht funktionierte, musste man heim gehen. Unbezahlt» erzählt die Agentin, die anonym bleiben möchte.
Walter Services bestreitet, Ausfallzeiten nicht zu bezahlen. Das Problem werde fair geregelt in einer internen Weisung: «In Abstimmung mit dem Management wird entschieden, ob und wie viel Zeit gutgeschrieben wird», schreibt sie darin.
Arbeitsrechts-Professor meint: Unzulässig
Der Arbeitsrechts-Experte Thomas Geiser von der Universität St. Gallen widerspricht: Arbeitszeiten müssen nach Gesetz zwei Wochen im Voraus kommuniziert werden. Eine Arbeitszeit-Kürzung am gleichen Tag ist unzulässig.
«Das ist an sich eine Verletzung des Arbeits-Vertrags-Rechts. Wenn sie vereinbart haben, dass jemand für einen bestimmten Einsatz arbeiten kommt, dann ist dieser Einsatz zu bezahlen. Auch bei einem Stundenlöhner. Der Arbeitgeber kann nicht einfach sagen, ich will dich nicht mehr, weil zu wenig Arbeit da ist. Das geht ebensowenig, wie der Arbeitnehmer auch nicht einfach sagen kann, jetzt gehe ich heim, weil es mir nicht mehr passt», sagt Geiser.
Swisscom: Bessere Bedingungen für eigene Arbeiter
Call-Agenten, die bei Swisscom direkt angestellt sind haben es gut. Sie haben einen Gesamt-Arbeits-Vertrag: Einen Mindestlohn von 3800 Franken, 40 Arbeitsstunden pro Woche und 5 Wochen Ferien. Dazu kommen verschiedene Vergünstigungen, zum Beispiel bei der Telefon-Rechnung.
Swisscom betreibt aber auch ein Call Center in Dübendorf. Im gleichen Gebäude ist «Walter Services» tätig. «Walter Services» beschäftigt rund 40 Call-Agents, ausschliesslich im Auftrag von Swisscom. Drinnen ist die Kassensturz-Kamera unerwünscht.
Call Center werden oft ausgelagert
Es ist in der Schweiz üblich, Teile des Kunden-Service in externe Call Center auszulagern. In der Telecom-Branche tut dies nicht nur Swisscom, sondern auch die Konkurrenten Orange, Sunrise und Cablecom. Diese vergeben auch Aufträge ins Ausland.
Gewerkschafterin Sandrine Pituctin von Syndicom: Es brauche viel Überzeugungsarbeit, dass sie in Kontakt komme. Vielfach haben die Agenten Angst, dass wenn sie sich gewerkschaftlich organisieren. Sie fürchten Konsequenzen. Dass ihnen gekündet würde.
Lohnunterschiede sind riesig
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Dies gilt nicht, wenn Firmen wie Swisscom Kundendienst-Arbeiten auslagern. Das kann auch Syndicom-Zentralsekretär Daniel Münger bestätigen: «Call Center-Angestellte müssen damit rechnen, dass sie mehrere 100 Franken weniger verdienen als Call Center-Agenten, die sie «inhouse» beim Auftraggeber arbeiten.»
«Das ist die eine Seite, die monetäre. Zusätzlich kommen da noch längere Arbeitszeiten, schlechtere Bedingungen bei den Ferien, allenfalls noch Pensionskassen. Das heisst am Schluss, dass es schnell einmal über 1000 Franken sein können», rechnet Münger vor.
Langwieriges Einloggen ist keine Arbeitszeit
Praktisch ausnahmslos für Swisscom arbeiten die 540 Angestellten des Call Centerbetreibers Avocis im Thurgauischen Tägerwilen – nur viel billiger. Auch hier sind Innenaufnahmen unerwünscht.
Doch ein Avocis-Angestellter packt aus – aus Angst vor Repressionen anonymisiert. Der Grundlohn von 3600 Franken brutto ist tief. Besonders stossend aber sei, dass Avocis die Arbeitszeit erst nach dem Einloggen am PC zähle.
Er beklagt sich: Das Aufstarten des Computers dauere jedes Mal bis zu 10 Minuten - unbezahlt. So komme übers Jahr gerechnet ein Verlust von einer ganzen Arbeitswoche zustande.
Die kritisiert der Arbeitsrechts-Professor der HSG, Thomas Geiser: «Das ist insofern sicher nicht in Ordnung, als dass die Arbeitszeit beginnt, wenn der sich dem Arbeitgeber zur Verfügung stell. Das heisst, wenn er in den Betrieb kommt. Und das Einloggen ist sicher Teil der Arbeit, also auch Arbeitszeit, die vergütet werden muss.»
Keinen Bonus bei Krankheit
Nicht genug damit, dass Avocis bei der Arbeitszeit trickst. Dieser ehemalige Mitarbeiter berichtet: Mit spitzfindigen Regelungen streicht Avocis einen so genannten Bonus von 10% des Lohns: So genügten schon ganz kleine Verspätungen am Morgen oder nach der Pause, damit der Bonus gestrichen wurde.
Das Schlimmste aber war: «Man durfte nicht krank sein, und man durfte die Pause nicht überziehen. Dann wurde der Bonus gestrichen», sagt der Avocis-Mitarbeiter. In einem knappen Email des Teamleiters wurde die Lohnkürzung dann mitgeteilt.
Auch das Verurteilt Geiser: «Das ist eine Verletzung des Arbeitsvertragsrechts. Ein Arbeitsnehmer hat, wenn er krank ist, während einer beschränkten Dauer Anspruch auf Lohn. Das heisst, auf das, was er verdienen würde, wenn er nicht krank wäre und zur Arbeit ginge. Dann bekäme er den Bonus, also muss er ihn auch bekommen, wenn er krank ist.
«Swisscom will zufriedene Mitarbeitende»
Die Swisscom profitiert von den Bedingungen bei ihren Subunternehmern Walter Services und Avocis. Swisscom beteuert aber, dass sie bei Kenntnis von Arbeitsrechts-Verletzungen einschreiten würde.
«Die Swisscom ist in dieser Branche eines der wenigen Unternehmen, das den gesamten Kundenservice in der Schweiz macht. Und so profitieren die Mitarbeiter alle vom Schweizer Arbeitsrecht», sagt Swisscom-Sprecherin Annina Merk.
Swisscom will nach eigenen Aussagen zufriedene Mitarbeitende, nicht nur bei den eigenen Leuten. Tiefere Löhne und schlechtere Arbeitsbedingungen seien bestimmt kontraproduktiv. Sie erwarte von ihren Partnern korrekte Arbeitsbedingungen. Deren Löhne seien über dem Branchen-Durchschnitt.
«Avocis» streitet ab
Die Firma «Avocis» entgegnet den Vorwürfen von «Kassensturz»: «Das Aufstarten des Computers werde pauschal mit Zeit abgegolten. Es seien zum keine Boni zu Unrecht gestrichen worden. Die Kriterien seien transparent.»