Sicherheits-Experten sind unterwegs im Auftrag von «Kassensturz». Sie besuchen das Stadion anonym während eines Fussballspiels – «Kassensturz» filmt verdeckt. Sie prüfen in mehreren Sektoren Dutzende von Punkten. Zum Beispiel: Sind die Trittflächen tief genug? Steht unbefestigtes Mobiliar herum? Oder wie sind die Raumverhältnisse auf der Tribüne? Die Ergebnisse halten sie mit der Fotokamera fest.
Neubauten nicht unbedingt sicherer
Die Hauptarbeit erwartet die Panik-Experten in ihrem Büro in München: Anhand von Fotos und erprobten Checklisten beurteilen sie die Sicherheit der Stadien. Über hundert Fussballstadien haben Claudia Grunert und Thomas Jäger von Psytech geprüft. Zum Beispiel auch die zwölf Stadien im Vorfeld der Weltmeisterschaft in Deutschland. Neue Stadien sind nicht unbedingt sicherer, wissen sie aus diversen Untersuchungen in ganz Europa.
Fussballstadien können zur Todesfalle werden. Zum Beispiel Sheffield 1989 oder Heysel 1985. Über 1500 Tote und 10'000 Verletzte lautet die traurige Bilanz der letzten fünfzig Jahre. Die Lehren aus diesen Katastrophen: Sitzplätze und Fluchttore aufs Spielfeld machen Stadien sicherer.
Vier Risiken im Augenmerk
Die Experten richten ihr Augenmerk auf vier Risiken. Staudruck-Risiko: Das Publikum auf der Tribüne darf im Panikfall nicht in einer Sackgasse eingeengt sein und muss im Notfall dank Fluchttoren aufs Spielfeld flüchten können. Strömungsstau-Risiko: Gibt es Engpässe oder Laufhindernisse bei den Ausgängen? Der Fluchtweg muss leicht erkennbar sein. Stolper-Risiko: Treppenstufen und Gänge müssen regelmässig und gut begehbar sein, damit die Zuschauer im Panikfall nicht stürzen. Und das Bewaffnungs-Risiko: Keine unbefestigten Gegenstände im Stadion, denn gewaltbereite Fans könnten diese als Wurfgeschosse verwenden.
Bern: viele Sicherheitslücken
Bern, Stade de Suisse, 32'000 Sitzplätze: Die Experten besuchen das Spiel vom 24. April Young Boys gegen Luzern. Kein Verständnis haben die Panik-Forscher für Gitter vor dem Spielfeld in den Fanbereichen. Es fehlen Fluchttore, eine Pufferzone vor dem Gitter oder seitliche Ausgänge. «Wenn etwas passiert, sind die Fans in der Sackgasse», bemängelt Sicherheitsexperte Thomas Jäger. Problem auch beim Treppenzugang: Die Stadionbauer haben die Risiken für Rollstuhlfahrer zu wenig bedacht. Behinderte können das Stadion nur über den Lift verlassen. In einem Panikfall wäre das verhängnisvoll.
«Ein grosses und vor allem vermeidbares Problem sind die vielfältigen Bewaffnungsmöglichkeiten», sagt Jäger. Der Fachmann zählt auf: «Beim Zugang zum Fanbereich waren ungesicherte Bierfässer, die man ganz leicht ins Publikum runter befördern kann, dann gab es zahlreiche Transporthilfen, Getränkemobiliar, Gastromobiliar, alles leicht verfügbar und auch ganz leicht zu demontieren.»
Zusammenfassend das Testurteil des Stade de Suisse in Bern: Fehlende Fluchttore im Fanbereich, das Staudruck-Risiko ist erhöht, Stadionausgänge ausschliesslich über Treppen. Deshalb ist das Strömungsstau-Risiko mittel, das Stolper-Risiko ebenfalls mittel, das Bewaffnungs-Risiko bewerten die Experten hingegen als hoch. Die Verantwortlichen des Stade de Suisse sagen, je nach Risikostufe einer Veranstaltung würden im Sicherheitskonzept jeweils Anpassungen vorgenommen.
Basel: Massen stauen sich
Basel, St. Jakob-Park, 38'500 Sitzplätze: Wir besuchen das Super-League-Spiel vom 19. April. Positiv: In einem Panikfall gibt es eine breite Pufferzone und gelb markierte Fluchttore aufs Spielfeld. Jedoch finden die Experten zum Beispiel ein unregelmässiges Stufensystem im Gästeblock oder an dieser Veranstaltung bei den Stehplätzen eine ungesicherte, 40 Zentimeter hohe Stolperfalle zu Beginn der Tribüne. Doch das Hauptproblem in Basel ist das Risiko, dass sich die Massen stauen. Zum Fluchtweg sagen die Stadionbetreiber, dieser sei aufgrund des Bahndamms nicht anders möglich.
Gesamtergebnis St. Jakob-Park in Basel: geringes Staudruck-Risiko, aber erhöhtes Strömungsstau-Risiko, mittleres Stolper- und Bewaffnungs-Risiko.
Genf: nur geringe Mängel
Genf, Stade de Geneve, 30'000 Sitzplätze: Unsere Experten besuchen am 16. April ein Challenge-League-Spiel mit sehr wenig Zuschauern. Positiv: Regelmässiges Stadion mit einfachen Fluchtwegen. Nur kleine Mängel finden die Experten wie zum Beispiel eine unebene Schwelle beim Ausgang.
Der Gesamteindruck des Stade de Geneve in Genf: Nur geringe Mängel in allen Risiko-Bereichen.
Zürich: Fluchttore fehlen
Zürich, Stadion Letzigrund, 25'000 Sitzplätze: Beim Testbesuch am 20. April spielen die beiden Zürcher Mannschaften gegeneinander – die Stimmung ist aufgeheizt, immer wieder zünden Fans Petarden. Problematisch: Die Tribüne ist an diesem Spiel mit drei Barrieren vom Spielfeld getrennt. «Unverständlich, man könnte dieses Stadion relativ schnell in den Originalzustand zurückführen. Dann wär’s schon deutlich sicherer. Es fehlen aber in jedem Fall im gesamten Letzigrund die Fluchttore.»
Auch Bewaffnungsmöglichkeiten wie unbefestigte Abfallcontainer oder Absperrgitter finden die Experten überall im Stadion oder im oberen Bereich droht Stolpergefahr wegen zu steiler Stufen.
Gesamtergebnis im Zürcher Stadion: Das Staudruck-Risiko beurteilen die Experten als erhöht, das Strömungsstau-Risiko, das Stolper- und das Bewaffnungs-Risiko als mittel.
Gäbe es eine Meisterschaft für Sicherheits-Standards wären die neuen Schweizer Stadien noch nicht Europameister.
«Eingang ist der Ausgang»
Im Studio nahm Euro-08-Turnierdirektor Christian Mutschler Stellung zu den Ergebnissen der Untersuchung. Wie die Stadionbetreiber wies er darauf hin, dass die Stadien sämtliche Sicherheitsvorschriften erfüllen. Das Staudruckrisiko Richtung Fussballfeld bestehe nicht. In der Schweiz gelte – auch von Seiten des Fussballverbandes – die Regel: Der Eingang ist der Ausgang, evakuiert werde nicht in Richtung Rasen, sondern durch die entsprechend dimensionierten Eingänge.
Mutschler sagte auch , die Uefa wolle grundsätzlich zaunfreie Stadien. In sämtlichen Schweizer Eurostadien würden während der Euro08 lediglich maximal 1,1 Meter hohe Gitter das Spielfeld abtrennen. Andererseits sieht auch er Möglichkeiten für Verbesserungen.