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Familie und Freizeit Sex-Attacke via Internet: Polizei lässt Opfer hängen

Auf einer Partnervermittlungs-Plattform erstellen Unbekannte im Namen einer Frau ein fiktives Profil mit dem fiktiven Angebot sexueller Praktiken. Die Polizei sieht sich ausserstande, der Frau zu helfen. «Kassensturz» sagt, wie man sich gegen solchen Terror wehren kann.

Für «Kassensturz»-Zuschauerin Andrea O. kam es wie ein Blitz aus heiterem Himmel: Freunde machten sie darauf aufmerksam, dass auf der Dating-Plattform Badoo ein Profil mit ihrem vollen Namen und sexuell expliziten Angeboten bestehe. Noch nie zuvor hatte sie von Badoo gehört. Da standen Sachen wie: «möchte mit einem Mann Strippoker spielen», «dauergeil» und «gerne auch blasen». Andrea O. war schockiert. Wer tut ihr das an? Sie selber hatte keine Ahnung.

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Sofort war ihr klar: Da hatte jemand Bilder von der Homepage ihrer Tanzschule gestohlen und in einem völlig anderen Zusammenhang im Internet publiziert. Das gefälschte Profil auf Badoo war ihr äusserst peinlich.  «Ich musste  mich dauernd rechtfertigen, dass nicht ich das bin. Und ich weiss, dass ein Restzweifel bleibt bei den Leuten», sagt Andrea O.

Polizei: «Da ist nichts zu machen»

Andrea O. lässt sich die anonymen Verleumdungen nicht gefallen. Sie sucht Hilfe bei der Kantonspolizei in Frauenfeld. Dort erstattet sie Anzeige gegen Unbekannt. Doch schnell stellt die Polizei fest: da ist nichts zu machen, denn Badoo hat seinen Sitz in London. Ihr Dossier landet beim Bezirksamt. «Das hat alles überhaupt nichts gebracht», muss Andrea O. ernüchtert feststellen.

Andrea O. versucht selber, mit Badoo Kontakt aufzunehmen. Vergeblich. Mehrere Versuche scheitern: Badoo gibt nie Antwort. Das gefälschte Schmuddel-Profil ist weiterhin für alle zugänglich.

Wenig Mittel gegen Cyberstalking

«Belästigungen im Internet haben stark zugenommen», sagt Martin Boess, Geschäftsführer der Schweizerischen Kriminalprävention. Im Kampf gegen Cyber-Stalking sind nicht nur einzelne Benutzer machtlos. So hat auch die Schweizerische Kriminalprävention erfolglos versucht, mit dem Betreiber einer Sozialplattform Kontakt aufzunehmen. Das Thema Sicherheit sei zu wenig relevant, so die lapidare Auskunft des Plattform-Betreibers.

Ihre Meinung

Im letzten Sommer wurden die Belästigungen für Andrea O. immer bedrohlicher:  anonyme Telefonanrufe  – zu verschiedensten Zeiten – schnaufen, dann aufhängen. Andrea O.  getraute sich abends nur noch aus dem Haus, wenn sie mit einer befreundeten Person am Handy verbunden war.

Wieder nahm sie mit der Kantonspolizei Thurgau Kontakt auf, diesmal telefonisch. Sie schilderte ihre Ängste und bat um Hilfe. Der Beamte bedauerte auch dieses Mal, nichts für sie tun zu können. «Das hat mich sehr enttäuscht», sagt Andrea O., «ich hätte mir Hilfe erhofft von der Polizei, wenigstens eine Adresse, wo ich mich hinwenden kann. Ich fühlte mich extrem im Stich gelassen.»

Polizei verwies nicht an Opferhilfestelle

Die Kantonspolizei Thurgau sieht kein Fehlverhalten und schreibt Kassensturz: «… aus Sicht der Kantonspolizei Thurgau ist der Fall korrekt abgelaufen.» Zum Telefonanruf könne sich die Kapo TG nicht äussern, weil dazu keinerlei Aufzeichnungen bestünden.

Es bleibt unerklärlich, warum die Polizei  Andrea O. keinen Schutz bot und sie nicht an Hilfestellen verwies. Denn die Kapo Thurgau besitzt solche Merkblätter (siehe Links).

Auch Martin Boess von der Schweizerischen Kriminalprävention versteht das Verhalten der Kantonspolizei nicht:  «Es gibt ein Opferhilfegesetz, wo jedes Opfer eines Gewaltverbrechens Anrecht hat auf eine Betreuung. Und die Zusammenarbeit zwischen Opferhilfestellen und der Polizei ist sehr gut. Das kann ich mir nicht erklären, dass es hier nicht passiert ist. Es sollte ein normaler Reflex sein, dass man hier die Opferhilfestellen bekannt macht.»

«Keine Fotos ins Netz stellen»

Nachdem Kassensturz sich telefonisch bei Badoo gemeldet hat, wurde das Schmuddel-Profil umgehend gelöscht. «Normalerweise reagieren wir auf jede Reklamation», rechtfertig sich Badoo.

Die anonymen Telefonanrufe sind verstummt. Andrea O. zieht ein nüchternes Fazit: «Ich werde bestimmt keine Fotos mehr auf dem Internet veröffentlichen».

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