Himmel und Hölle: Beides findet sich in der Schweiz, wenn man die Steuerbelastung für natürliche Personen vergleicht. Ein verheiratetes Paar mit zwei Kindern (Doppelverdiener, 100‘000 Franken Bruttoeinkommen) zahlt in der Neuenburger Gemeinde Les Verrières 9851 Franken Steuern. So viel wie nirgends sonst in der Schweiz. Kaum zu glauben: Im Steuerparadies Baar ZG zahlt die Familie lediglich 786 Franken, gerade mal einen Zwölftel im Vergleich mit Les Verrières.
Die Steuerbelastung in den Kantonen und Gemeinden ist teilweise enorm unterschiedlich. Das zeigt der «Kassensturz»-Vergleich, den das Institut für arbeitspolitische Studien Büro Bass anhand Daten der Eidgenössischen Steuerverwaltung ESTV mit Zahlen aus dem Jahr 2014 (Zum Vergleich) errechnet hat.
Steuerwettbewerb Schuld an grossen Steuer-Unterschieden
Kantone und Gemeinden sind frei in der Festsetzung der Steuersätze. «Grundsätzlich ist es sinnvoll, dass Gemeinden und Kantone selber entscheiden können, wieviel Steuern sie brauchen», sagt Steuerforscher Kurt Schmidheiny, Professor für Ökonometrie an der Universität Basel.
Doch der Steuerföderalismus führe eben auch zu Steuerwettbewerb und damit auch zu den hohen Unterschieden bei der Steuerbelastung: «Wenn eine Gemeinde sehr hohe Durchschnittseinkommen hat, kann sie auch mit sehr tiefen Steuersätzen hohe Steuereinnahmen generieren.»
Reiche konzentrieren sich in Tiefsteuergemeinden
Steuerforscher Schmidheiny und sein Team haben die effektive Steuerbelastung in der Schweiz untersucht und einen brisanten Effekt festgestellt. Weil sich Haushalte mit hohen Einkommen in Tiefsteuergemeinden konzentrieren, verläuft die Steuer-Progression gesamthaft anders, als sie müsste.
Die durchgezogene schwarze Linie zeigt die durchschnittliche Progression über alle 2500 Schweizer Gemeinden für Alleinstehende. So müsste die Progression sein, wenn reiche Haushalte gleichmässig im Land verteilt wären.
Die rote Linie zeigt den effektiven Verlauf der Progression. Ab einem Einkommen von rund 300‘000 Franken weicht die effektive Progression von der theoretischen ab. «Das liegt daran, dass Haushalte mit hohem Einkommen systematischer in tiefsteuer-Gemeinden leben als der Rest der Bevölkerung», erklärt Kurt Schmidheiny.
Degressive Steuerbelastung bei hohen Einkommen
Besonders brisant: Die Kurve sinkt ab einem Einkommen von drei Millionen sogar. Die Steuerbelastung im Gesamten ist für so hohe Einkommen also degressiv. Das heisst: «Ein Haushalt mit einem Einkommen von drei Millionen zahlt prozentual weniger Steuern als ein Haushalt mit einer halben Million Einkommen», ergänzt Schmidheiny. Und dies, obwohl das Gesetz verlangt, dass in allen Kantonen und Gemeinden die Steuern progressiv sein müssen.
Mittelstand profitiert nicht vom Steuerwettbewerb
Grundsätzlich sind die Steuern in Tiefsteuergemeinden für alle Einkommensschichten tief. Doch ein Umzug in eine solche Gemeinde lohnt sich für Mittelstands-Haushalte nicht, sagt Kurt Schmidheiny: «Da werden einfach die attraktiven Vorteile von tiefen Steuern wettgemacht durch die generell höheren Wohnpreise.»
Reiche hingegen schon
«Für Reiche lohnt sich ein Umzug allemal», so der Steuerforscher. «Wenn Sie ein hohes Einkommen haben, sind für Sie die Steuern viel bedeutender wegen der Progression.» Kommt hinzu: Für Haushalte mit hohen Einkommen machen die Ausgaben fürs Wohnen einen viel kleineren Anteil am Budget aus. Da sind teure Bodenpreise oder Mieten kein grosses Problem mehr.