Kinderarbeit, Vergiftungen, Depressionen: Darunter leiden Tabakbauern in Brasilien. Das südamerikanische Land ist der grösste Tabakexporteur der Welt. 200’000 Familien jährlich produzieren 774’000 Tonnen, davon 70 Prozent für den Export. Zum Beispiel Familie Weber aus dem Bundesstaat Rio Grande do Sul im südlichsten Zipfel von Brasilien. Die Sendung «Kassensturz» hat sie bei der Arbeit begleitet.
Soll wäre ohne Kinderarbeit nicht zu erfüllen
Die Tabakernte ist sehr aufwändig, alles geschieht in Handarbeit, alle müssen mitarbeiten. Die drei jüngsten Kinder, Evandro (10), Patricia (15) und Valeria (17) beginnen frühmorgens mit der Arbeit, nachmittags gehen sie zur Schule, am Abend arbeiten sie weiter. Zur Haupterntezeit haben sie Schulferien und arbeiten ohne Unterbruch. Es ist über 40 Grad heiss, die Kinder müssen alle Arbeiten stehend verrichten.
«Wir krampfen täglich bis spät am Abend», sagt Evandro (10) zu «Kassensturz». In der ganzen Region arbeiten Kinder wie der Zehnjährige auf den Tabakplantagen. «Ohne ihre Hilfe könnten wir die vertraglich festgelegte Arbeit nicht erledigen», sagt Vater Erik Weber. «Die Zuständigen der Industrie wissen das». Solange die Kinder jedoch zur Schule gehen, tolerieren sie dies.
Nikotin wie bei 20 Zigaretten pro Tag
Tabakblätter enthalten Nikotin, ein starkes Nervengift. Wer mit der Haut die Blätter berührt, nimmt Nikotin auf und vergiftet sich. Je feuchter der Tabak, desto schlimmer. In der südbrasilianischen Hitze schwitzen die Pflanzer und leiden deshalb stark an der «grünen Tabakkrankheit», wie die Nikotinvergiftung auch genannt wird.
Die Wissenschaftlerin Rosa Wolff erforscht die Wirkung von Tabak auf den menschlichen Organismus seit Jahren. Die Studien der Medizinerin zeigen: «Wer während vier Stunden Tabakblätter erntet und dabei noch schwitzt, vergiftet seinen Körper so stark mit Nikotin wie jemand, der 20 Zigaretten raucht.»
20 Zigaretten: Im kleinen Körper eines Kindes haben sie einen weit schlimmeren Effekt als bei einem Erwachsenen.
Industrie lässt Kinderarbeit zu
Familie Weber arbeitet während der Ernte monatelang während mindestens zwölf Stunden am Tag auf der Plantage. Immer wieder leiden die Kinder unter den Syptomen der grünen Tabakkrankheit: Fieber, Schlaflosigkeit, Übelkeit und Atemnot. Einmal musste deswegen sogar die gesamte Familie ins Krankenhaus. «Wir hatten alle starke Schwindelanfälle und Fieber und mussten erbrechen», sagt Erik Weber.
Kinderarbeit wäre in Brasilien eigentlich verboten, dennoch: «Die Tabakindustrie beutet Kinder und Jugendliche aus», sagt Margaret Matos gegenüber «Kassensturz». Sie ist Ermittlerin vom Ministerium für Arbeit in Curitiba. Matos hat 18 Verfahren gegen die Tabakindustrie laufen. «Diese Arbeit ist für die Gesundheit der Kinder höchst gefährlich», erklärt sie. «Die Industrie unternimmt gar nichts, um dies zu verhindern.»
Bauern seien selbst verantwortlich
Die grösste Tabakeinkaufsfirma in Brasilien ist Souza Cruz, eine Tochterfirma des Konzerns British American Tobacco, BAT. Souza Cruz schiebt die Verantwortung für die Kinderarbeit an die Bauern ab: «Wenn jemand Kinder arbeiten lässt, ist das sein Entscheid», sagt Direktor Flavio Goulart. Souza Cruz erlaube dies von Vertrags wegen nicht und verwarne die Bauern, wenn sie die Kinder arbeiten lassen. Nach der zweiten Verwarnung dürften sie nicht mehr für Souza Cruz Tabak anbauen.
British American Tobacco ist in der Schweiz die Nummer zwei. Nach Philip Morris und vor Japan Tobacco International, welche beide ihren internationalen Hauptsitz in der Schweiz haben. 57,7 Milliarden Zigaretten haben die drei Firmen letztes Jahr in der Schweiz produziert.