Für Spezialitäten sind Kunden bereit mehr zu bezahlen. Migros bietet rund 100 «Sélection»-Produkte an, Coop gar über 300 Fine-Food-Artikel. Doch bei vielen sogenannten «Premium-Produkten» gaukeln Migros und Coop ihren Kunden bloss vor, etwas Besonderes zu bekommen. Alles ausgesuchte Produkte, wie es ihre Kunden erwarten? «Kassensturz» hat die Premium-Linien unter die Lupe genommen.
Auffällig ist: Migros und Coop erzählen zwar hübsche Geschichten über die Produkte. Angaben über den Hersteller hingegen sucht der Kunde meist vergeblich. Ein einziger Hinweis ist eine Nummer. Jeder Hersteller, der tierische Rohstoffe verarbeitet, hat einen eigenen Code. Damit findet man im Internet Angaben zum Hersteller
Zwei Verpackungen, eine Sauce
Zum Beispiel der «Sugo alla Napoletana» für Migros-Sélection. Die Sauce stammt von der Firma «Althea» aus Parma. Mit Neapels Fischmärkten hat sie wenig zu tun. «Althea» ist nach eigenen Angaben der grösste Saucenproduzent Italiens und vertreibt selbst eine Sauce mit Venusmuscheln - gleiche Menge, identische Zutaten wie Migros-Sélection.
Italienische Supermärkte verkaufen diese Sauce für umgerechnet 3.40 Franken. Bei der Migros kostet das gleiche Produkt 5.70 Franken. Nur der Preis ist speziell - speziell teuer.
Ein weiteres Beispiel: Das Joghurt-Getränk «Lassi Mango». Die Hersteller-Nummer führt nach Österreich - nach Aschbach Markt. Zu einer Fabrik von Österreichs grösstem Molkerei-Konzern Berglandmilch. Dieselbe Fabrik produziert auch das Lassi «Bombay» der Marke «Giacomo». Es enthält gleich viel Joghurt und Mango. Dieses Produkt ist in Österreich im Supermarkt erhältlich - deutlich billiger.
Spar Österreich verkauft das Bombay Mango-Lassi für umgerechnet 1.20 Fr. Die Migros für 1.90 Fr. Exklusiv - von wegen.
Vom gleichen Hersteller wie Normal-Produkt
Premium-Produkte: Sie sind oft nur gewöhnliche Massenware in edler Verpackung. Migros bestelle für Sélection nur kleine Mengen, deshalb seien diese Produkte teurer, sagt Monika Weibel von Migros. Die Margen seien nicht höher als auf anderen Produkten. Den Hersteller verrate man nicht aus Konkurrenzgründen.
«Immer noch zahlreiche Produkte, die wir von Sélection anbieten, werden in kleinen Betrieben produziert. Aber es gibt auch Produkte von grossen Betrieben. Das spielt überhaupt keine Rolle. Wichtig ist, dass Qualität und Geschmack stimmen, dass es sich abhebt von anderen vergleichbaren Produkten. Im eigenen Haus oder bei der Konkurrenz», sagt Monika Weibel. -> Tabelle: 6 Premium- und Normal-Produkte im Vergleich
Ein Test zeigt, wo die Augen hinschauen
«Kassensturz» will wissen: Lassen sich Kunden allein durch eine edle Verpackung zum Kauf verführen? Claude Messner, Professor für Konsumentenverhalten an der Universität Bern, führt für «Kassensturz» ein Experiment durch mit Knäckebrot von «Fine Food». Das Knäckebrot gibt es in verschiedenen Verpackungen.
19 Testpersonen betrachten Bilder der Verpackungen auf einem Bildschirm. Ein sogenannter Eye Tracker erfasst alle Augenbewegungen mit Kameras. Der Testleiter verfolgt die Bewegungen auf einem zweiten Monitor.
Edle Verpackung verspricht edles Produkt
Die Resultate sind erstaunlich: Bei der Fine Food-Verpackung ziehen Sichtfenster und Produktbezeichnung die Blicke der Versuchspersonen an. «Es ist sicher die Kommunikation: Es ist etwas Edles. Viele kennen das Label «Fine Food» und man wählt bewusst diesen Ausschnitt aus, der die Aufmerksamkeit auf sich zieht und sagt: Hier, wir haben ein anderes Knäckebrot und das ist was ganz Tolles. Das heisst, ich erzeuge die Erwartung: Es wird gut schmecken», sagt Claude Messner.
Ihre Erwartung, wie gut das Knäckebrot wohl schmeckt, bewerten die Probanden auf einer Skala. Fine Food erhielt im Schnitt 6 von 8 möglichen Punkten.
Schöne Verpackung lässt Erwartung steigen
Ganz anders das Spar-Produkt: Hier schauen die Leute nicht auf das Knäckebrot, sondern auf «Spar» und «Premium». «Und es kann gut sein, dass das ein Widerspruch ist. Wenn man dann nachher anschaut, wie ist die Erwartung, dann ist es das Knäckebrot, das die geringste Geschmackserwatung hat», sagt Messner.
«Das sind ja wirklich die identischen Produkte, nur die Verpackung ist anders. Was sich zeigt, ist: Die meisten, fast alle, entscheiden sich für das Fine-Food-Knäckebrot», erklärt Messmer weiter.
Allerwelts-Produkte zu Premium-Preisen
Kunden erwarten wegen der edleren Verpackung einen besseren Geschmack. Sie vertrauen der Premium-Linie und sind deshalb bereit, mehr dafür zu bezahlen. Das nutzen die Anbieter aus. Statt exklusive Spezialitäten verkaufen sie ihren Kunden oft nur Allerweltsprodukte - zu Premium-Preisen.
Coop wollte nur schriftlich Stellung nehmen: Es gebe keinen Preiszuschlag auf Finefood-Produkte. Die höheren Preise seien begründet, zum Beispiel durch höhere Zoll-oder Beschaffungskosten. Beim «Fine Food»-Caramelköpfli, wolle Coop man den Preisunterschied aber «analysieren und gegebenenfalls anpassen».