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Umwelt und Verkehr Schädlicher Phosphat-Abbau: Arbeiter leiden für unseren Dünger

Ohne Phosphat wächst keine Pflanze. In Marokko, wo Phosphat gewonnen wird, bringt das Element Tod und Krankheit. Es fehlt an Schutzmassnahmen für Mensch und Umwelt. Dieses triste Bild zeichnen Arbeiter und Anwohner in einer «Kassensturz»-Reportage. Auch Schweizer Dünger ist betroffen.

«Kassensturz» trifft in Marokko Menschen, deren Zähne schwarz verfärbt und zerfressen sind. Was diese Menschen gemeinsam haben: Sie leben in nächster Nähe einer Phosphatmine.

Noch schlimmer: Das Rechercheteam spricht mit Menschen, die kaum über 60 Jahre alt sind und bereits am Verfallen sind: Atem-, Herz-, Muskelprobleme, Krebs. Sie haben ihr halbes Leben in marokkanischen Phosphatfabriken gearbeitet, heute ist ihre Gesundheit ruiniert.

Marokko grösster Phosphat-Exporteur

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Legende: Der Abbau ist eine staubige Angelegenheit. Der Schutz der Arbeiter und Bevölkerung mangelhaft. SRF

Marokko ist das phosphatreichste Land weltweit. 70 Prozent der heute bekannten Reserven liegen in diesem Land. Der staatlich kontrollierte Phosphatkonzern OCP hat das Monopol in der marokkanischen Phosphatindustrie und beschäftigt rund 20'000 Menschen. Safi, eine Stadt an der Küste mit rund 300'000 Einwohnern, ist das Herz der marokkanischen Phosphatindustrie. Hier werden Phosphat, Phosphorsäure und Dünger hergestellt. Marokko ist der grösste Phosphat-Exporteur der Welt.

Vergiftungen, Staublunge und Krebs

Die Minen liegen im Landesinnern. Der Abbau der phosphathaltigen Erde erfolgt mit riesigen Maschinen und ist eine sehr staubige Angelegenheit. Beim Abbau wird viel Fluor frei, das Luft, Wasser und Boden in der umliegenden Region kontaminiert. Ein Apotheker, der sich mit der Phosphatproblematik in seinem Land beschäftigt, sagt «Kassensturz» vor der Kamera: «Dieses Fluor führt zu Fluorvergiftungen, sowohl beim Vieh wie auch beim Menschen.» Verantwortlich sei eine Abbauweise, die Arbeiter und Menschen in der Nähe der Minen ungenügend vor Emissionen schütze. Diese Menschen klagen auch über Knochen- und Gelenkprobleme.

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Legende: Phosphat steckt in jedem Dünger und ist lebenswichtig für die Landwirtschaft. SRF

Arbeiter in den Phophatfabriken seien ausserdem gefährdet an Silikose, also an einer Staublunge, zu erkranken. «Für die meisten von ihnen bedeutet das den Tod», führt der Apotheker weiter aus.

Die Arbeiter sind ohnehin am direktesten den Emissionen der Düngerindustrie ausgesetzt. «Kassensturz» trifft einige, die in der phosphatverarbeitenden Industrie in der Küstenregion um Safi beschäftigt waren. Ein Mann, der als Mechaniker 27 Jahre in der Düngerproduktion gearbeitet hat, fasst seinen Gesundheitszustand wie folgt zusammen: «Ich bin am Verfallen.»

«Ich bin am Verfallen»

«Kassensturz»-Team beschattet

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Eine kritische Berichterstattung über das wichtigste Exportprodukt Marokkos ist nicht erwünscht. Das bekam das Kassensturz-Reporterteam zu spüren. Kaum im Land wurde es beschattet und auf Schritt und Tritt verfolgt. Bereits nach wenigen Tagen stoppten die Behörden das Team, beschlagnahmten die Filmaufnahmen und verboten weitere Dreharbeiten.

Für ihn, und auch für die Gewerkschafter, die uns zu ihm führen, ist klar: Schuld daran sind die mangelhaften Schutzvorkehrungen am Arbeitsplatz: «Es gab viel Staub, viel Lärm. Wir waren Gasen ausgesetzt, Ammoniak, Phosphorsäure, Schwefelsäure. Es war sehr schlimm.» Schützen konnte er sich kaum, höchstens mit einer einfachen Maske, die kaum nützte.

Die Folgen waren verheerend. Mit 50 begann seine Leidensgeschichte. Müdigkeit, dann Atembeschwerden. «Es gab einen Tag, da konnte ich kaum mehr atmen.» Es folgte eine Nasenoperation. Dann bildete sich ein Krebs am Hals. Chemotherapien. Seit neustem hat er Herzprobleme, Muskelschmerzen. «Der Zustand verschlechtert sich laufend. Aber was will ich dagegen tun?» stellt er resigniert fest. Und dann holt er einen Sack Medikamente. «Das muss ich jeden Tag nehmen. Jeden Tag.»

Viele kranke Arbeiter

Gewerkschafter bringen Kassensturz zu weiteren, kranken Menschen, die Jahrzehnte in Phosphatfabriken gearbeitet haben. Menschen, die an Krebs leiden. Gewerkschafter und ehemalige Arbeiter berichten, dass viele ihrer Berufskollegen bereits verstorben seien.

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Legende: Abwasser aus der Phosphat-Industrie verschmutzen Wasser und Umwelt. SRF

Kranke Arbeiter, kranke Wohnbevölkerung - Menschen, die beim staatlich kontrollierten Phosphatkonzern OCP gearbeitet haben oder in der Nähe von Abbauminen und Phosphatfabriken wohnen und deshalb krank sind. Öffentlich will kein Arzt diesen direkten Zusammenhang bestätigen. Zu gross sei die Angst vor dem mächtigen Phosphatunternehmen OCP, hören wir in Gesprächen mit Gewerkschaftern, Journalisten und auch medizinischem geschultem Personal.

Studien dazu gibt es kaum, oder sind für uns nicht zugänglich. Einwohner der stark betroffenen Stadt Safi erzählen von einer Luft-Mess-Station, die auf einer Grossanzeige die Luftqualität angezeigt habe. Sie sei kaum installiert wieder demontiert worden. Kritik am Phosphatunternehmen OCP ist unerwünscht.

Forum

So habe auch eine öffentliche medizinische Lungen-Untersuchung, die die Bevölkerung von Safi gratis machen konnte, ein niederschmetterndes Resultat zutage gefördert: 80 Prozent der Untersuchten hätten ein Lungenemphysem gehabt. Die OCP habe die Untersuchung sofort als wissenschaftlich nicht korrekt disqualifiziert.

Phosphat-Industrie weist alle Vorwürfe zurück

Auch gegenüber «Kassensturz» weist OCP jeden Zusammenhang von Krankheiten mit der Phosphatindustrie zurück. Die Gesundheit der Menschen und die Umwelt geniessen im Unternehmen höchste Priorität. In den letzten Jahren sei viel Geld in Anlagen zur Reinigung von Abluft und Abwasser investiert worden. Abgasfilter seien von höchster Qualität und Grenzwerte von Fluoremissionen würden eingehalten. Kassensturz fragte nach Belegen, die das Unternehmen bezüglich auftretender Krankheiten entlaste. Diese konnte oder wollte OCP aber nicht liefern.

Fenaco ist sich Problem bewusst

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Die Schweiz importiert rund 10'000 Tonnen Phosphat im Jahr. Auch aus Marokko. Rund die Hälfte kommt in Form von Dünger in die Schweiz, der Rest in Form von Futtermitteln. Beides geht in die Landwirtschaft. Hauptimporteur ist die Fenaco, ein Zusammenschluss der regionalen Landi-Genossenschaften mit einem jährlichen Umsatz von über 5 Milliarden Franken. Der Landwirtschaftskonzern handelt europaweit über eine Million Tonnen Dünger.

Fenaco bezieht Phosphatdünger hauptsächlich von einem israelischen Lieferanten, der auch eine eigene Mine hat. Doch Phosphat wird weltweit gehandelt. Aus welcher Mine und aus welchem Land das Phosphat des in die Schweiz importierten Düngers stammt, weiss Fenaco nicht.

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Legende: Heinz Mollet. SRF

Auf die problematischen Zustände in Marokko angesprochen, sagt Heinz Mollet, Geschäftsleitungsmitglied der Fenaco im «Kassensturz»: «Wir nehmen das Thema sehr ernst. Es ist uns bewusst, dass in Ländern, wo instabile politische Situationen herrschen, der Abbau von Bodenschätzen nicht immer einfach ist.»

Gerade in den Bereichen Bevölkerungsschutz, Arbeitsschutz und Umweltschutz gebe es Handlungsbedarf. Denn eine internationale Überwachung der Produktionsbedingungen fehle gänzlich. «Wir werden mit unseren Lieferanten in Kontakt treten. Was gibt es für Möglichkeiten im Sinne von Zertifizierungen, Labels für den Phosphatabbau, so wie das in andern Branchen üblich ist.»

Hauert macht es vor

Dass es bereits heute auch anders geht, beweist die Schweizer Traditionsfirma Hauert. Seit über 300 Jahren stellt die Firma Dünger her und ist heute auf Spezialdünger für den Biolandbau, Gartenbau und den Hobbybereich spezialisiert. Hauert kauft das Phosphat aus einer finnischen Mine. Zwar kennt Geschäftsinhaber Philipp Hauert die Mine nicht aus eigener Anschauung. Doch es sind keine sozialen und ökologischen Probleme bekannt. Das bestätigt die grosse finnische Umweltschutzorganisation FANC auf Anfrage von «Kassensturz».

Finnisches Phosphat ist wesentlich teurer als marokkanisches, doch für Philipp Hauert lohnt sich der Aufpreis in mehrfacher Hinsicht: «Wir haben die Gewähr, dass wir Produkte kaufen, die nicht mit Schwermetallen belastet sind und so den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Zudem haben wir keine endlosen Transportwege. Und wir haben auch Gewähr, dass diese nach europäischen Sozialstandards produziert worden sind.»

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