«Kassensturz»: In der EU gelten seit 2012 bei den Prämien-Berechnungen für Risikolebens- und private Rentenversicherung, private Kranken-Versicherung sowie auch die Auto- und Unfallversicherung Unisex-Tarife. Was spricht aus Schweizer Sicht gegen die Einführung von Unisex-Prämien auch in der Schweiz?
Sabine Alder, Sprecherin des Schweizerischen Versicherungsverbands SVV: Prämien sind in der Schweiz risikogerecht ausgestaltet. Risikogerechte Tarife halten die Prämien generell tiefer. In der Schweiz dürfen die Versicherer Risikokriterien wie das Geschlecht bei der Tarifierung einbeziehen, wenn sie statistisch begründet sind.
Der Europäische Gerichtshof hat Bisex-Prämien als eine Diskriminierung der Geschlechter beurteilt. Wenn Bisex-Prämien in der EU diskriminierend sind, warum sind sie es nicht auch in der Schweiz?
Alder: Differenzierte Behandlung ist nicht gleich diskriminierende Behandlung. Differenziert heisst in der Schweiz: Wer mehr Leistung bezieht, bezahlt auch höhere Prämien. Wenn also Männer im Schnitt mehr Schäden beim Autofahren verursachen, beziehen sie auch mehr Versicherungsleistung und bezahlen ergo auch höhere Prämien.
Ist es nicht diskriminierend, dass alle Frauen, auch jene die häufiger Schäden verursachen, nur deshalb günstigere Autoversicherungs-Prämien geniessen, weil Frauen im Durchschnitt weniger Unfälle machen? Ist das nicht auch diskriminierend gegenüber den Männern, die jahrelang Unfallfrei fahren, aber trotzdem höhere Prämien bezahlen müssen als Frauen, nur weil andere Männer im Durchschnitt mehr Schäden verursachen?
Alder: Wenn Männer im Schnitt mehr Schäden als Frauen verursachen, beziehen sie mehr Leistungen. Dann ist es fair, wenn Frauen, die im Schnitt weniger Leistungen beziehen, tiefere Prämien zahlen. Um die unfallfrei fahrenden Männer und die Frauen mit mehr Autoschäden zu berücksichtigen, gibt es das Bonus-Malus-System.
Auch Ausländer bezahlen in der Schweiz für die Autoversicherung mehr als Kunden mit den roten Pass. In der EU ist auch dies nicht möglich. Warum lässt der SVV dies in der Schweiz zu?
Alder: Die Versicherer dürfen jene Risikokriterien berücksichtigen, die statistisch relevant sind. In der Autoversicherung zählen dazu unter anderem das Alter, das Automodell, die Nationalität oder der Wohnkanton.
Wäre es nicht fairer, wenn alle Versicherten gleich viel bezahlen müssten für die gleiche Leistung?
Alder: Die Versicherten beziehen nicht alle die gleiche Leistung: Wer mehr Schäden hat, bezieht mehr Leistung und bezahlt dafür höhere Prämien.
Bei Hausrat- und Privathaftpflicht-Versicherungen gilt schon heute keine geschlechterspezifische Unterscheidung. Die Versicherungsbranche setzt hier auf Solidarität. Warum nicht auch bei Krankentaggeld-Versicherungen oder Invaliden-Lebensversicherungen?
Alder: Bei der Hausrat- und der Privathaftpflicht-Versicherung spielt das Geschlecht keine Rolle. Die Hausratversicherung versichert meine Sachen zu Hause vor Schäden oder vor Diebstahl. Wird in meine Wohnung eingebrochen oder mein Haus nach Unwettern überschwemmt, spielt es keine Rolle, ob ich ein Mann oder eine Frau bin.
Das gleiche gilt bei der Haftpflichtversicherung, die Schäden deckt, die ich aus Versehen Dritten zufüge: Zum Beispiel wenn ich beim Besuch bei Freunden deren wertvolle Vase aus Versehen umstosse.
Jedoch: Bei der Krankenzusatz-, Krankentaggeld- und der Lebensversicherung spielen geschlechtsspezifische Faktoren wieder eine Rolle: Frauen leben im Schnitt länger, gehen häufiger zum Arzt. Sie beziehen also mehr Leistungen als Männer. Deshalb sind ihre Prämien in der Krankenzusatzversicherung höher.