An jenen Morgen im März 2012 erinnert sich Jolanda Wydler ganz genau: «Beim Bettenmachen ist mir plötzlich ein wahnsinniger Schmerz in den Rücken gefahren. Auch mit starken Schmerzmitteln konnte ich mich nicht mehr bewegen.» Die 65Jährige muss per Ambulanz ins nahe Kreisspital. Die Ärzte diagnostizieren einen Bandscheibenvorfall.
Wechsel in Privatklinik
Vor knapp 20 Jahren wurde Wydler schon einmal deswegen operiert. Sie wechselt in die «Klinik im Park» nach Zürich. Denn dort ist ihr damaliger Chirurg Dan Thomas Blasbalg als Belegarzt tätig. «Ich hatte damals sehr gute Erfahrungen mit dem Arzt gemacht.» Der Neurochirurg operierte Wydler vier Tage nach Eintritt an der Wirbelsäule. Aufgrund von Komplikationen war später ein zweiter Eingriff nötig.
Rechnung von knapp 65‘000 Franken
Für die zwei Eingriffe schickte der Neurochirurg ihr später zwei Rechnungen über insgesamt 64 905 Franken. Das Honorar deckte lediglich die Leistungen des Arztes. Die Kosten für Pflege, Zimmer und Infrastruktur waren darin nicht enthalten. Diese stellte die Klinik der Kasse direkt in Rechnung. «Ich fand schon, das sei sehr viel, konnte es aber nicht beurteilen. Weil ich so viel Geld nicht bezahlen kann, schickte ich die Rechnungen an meine Krankenkasse.» Wydler ist bei der Concordia privat versichert und macht sich weiter keine Gedanken.
Patientin soll 31 000 Franken selber bezahlen
Die 65Jährige fiel aus allen Wolken, als sie einige Zeit später eine Mahnung der zuständigen Ärztekasse erhält. Sie schulde Dr. Blasbalg noch über 31 000 Franken. Der Grund: Ihre Krankenkasse übernahm das Honorar nur gut zur Hälfte. Nun sollte sie den Restbetrag bis Ende April begleichen, ansonsten werde man ein Inkasso-Büro einschalten. «Das hat mir schon Angst gemacht!», so Wydler
Arzt verrechnet Stundenlohn von 6000 Franken
Man könne die Rechnung so nicht bezahlen, sagt Jürg Vontobel, Leiter Leistungsmanagement bei der Krankenkasse Concordia: «Es handelt sich hier um einen eigentlichen Fantasiepreis. Das Honorar ist drei Mal so hoch wie vergleichbare privatärztliche Honorare.» Happig: Dr. Blasbalg verrechnete einen Stundenansatz von rund 6000 Franken. Die Kasse streicht auf der Rechnung diverse Positionen. So etwa für Leistungen, die Blasbalg verrechnete, obwohl sie laut Kasse schon Bestandteil des Haupteingriffes seien.
Arzt weist Kritik an Rechnungen zurück
Der kritisierte Neurochirurg will von überhöhten Rechnungen nichts wissen. In einem Schreiben an die Concordia bezeichnet Dan Blasbalg die Operation gar als «sehr billig» und hält an den Forderungen fest. Die Rechnungen seien nicht überhöht, sagt Dan Blasbalg am Telefon gegenüber «Kassensturz». In einer Stellungnahme weist er die Schuld der Kasse zu. Die Concordia verspreche im Vertrag volle Kostendeckung. «Wenn die Concordia ihre vertraglichen Pflichten (…) nicht erfüllen will, kann ich dafür nicht verantwortlich gemacht werden.»
Patientenschutz kritisiert Fantasie-Honorar
Ganz anders sieht das Margrit Kessler, Präsidentin der Stiftung für Patientenschutz SPO. Es sei richtig, dass die Krankenkasse eine derart überhöhte Rechnung nicht bezahle. «Sonst müssten wir von bestimmten Ärzten mit Fantasie-Honoraren rechnen.» Kessler kritisiert aber, dass die Concordia ihre Versicherte nicht gegen die Forderungen des Arztes unterstützt hat. Die Kasse räumt hier inzwischen Fehler ein.
Patientin hätte aufgeklärt werden müssen
Jolanda Wydler müsse aber den ungedeckten Teil von 31 000 Franken sicher nicht selber bezahlen, so Kessler. Ein Arzt muss auch über die Kostenfolgen einer Behandlung aufklären. Etwa wenn er ein überhöhtes Honorar verlangt, welches die Kasse nicht deckt. «Erfüllt er die sogenannte Aufklärungspflicht nicht und holt auch keine Kostengutsprache ein, dann muss die Patientin einen allfällig ungedeckten Teil sicher nicht selber bezahlen», so Kessler.
Kasse vertritt Patientin gegen Forderungen
Dan Blasbalg macht Zeitdruck für die fehlende Kostengutsprache geltend: «Infolge der zeitlichen Dringlichkeit konnte sich die Frage nach der Einholung einer Kostengutsprache bei der Concordia (…) nicht stellen. Die Patientin wusste und wollte das so.» Diese Aussage macht Jolanda Wydler wütend. «Von den Kosten, allfälligen Mehrkosten oder einer Gutsprache war nie die Rede!» Die 31 000 Franken muss sie nun aber definitiv nicht übernehmen. Ihre Kasse vertritt sie jetzt juristisch gegenüber dem Arzt.
Zusatz-Info: Das System «Beleg-Arzt»
Separate Honorar-Forderungen sind in Privatkliniken üblich. Dort sind die Ärzte oft nicht fest angestellt, sondern als sogenannte Belegärzte tätig. Das heisst, sie führen eine eigene Praxis und kommen nur für Operationen oder andere Behandlungen in die Klinik.
Dafür können sie ihren Patienten eine eigene Honorar-Rechnung stellen. Diese geht direkt an den Patienten. Der Patient ist also Schuldner des Arztes. Die Kasse vergütet die Rechnungen später zurück. Das Honorar deckt jedoch nur die Leistungen des Arztes. Hat der Arzt mit der Kasse keinen Vertrag, ist er an keinen Tarif gebunden und kann die Höhe des Honorars festlegen, wie er will.
Im Honorar nicht enthalten sind die meist deutlich höheren Kosten der Klinik für Infrastruktur und Pflege. Diese Rechnung geht in der Regel direkt an die Kasse.