Täglich werden in der Schweiz Bahnkunden gebüsst. Alleine die SBB stellte im letzten Jahr 1200 sogenannte Zuschläge pro Tag aus. Viele Bahnreisende aus der ganzen Schweiz haben sich an den «Kassensturz» gewendet. Die Kritik ist immer die gleiche: komplizierte Automaten, verwirrenden Zonensysteme. Sie lösen zwar ein Ticket, doch es ist nicht zu 100 Prozent korrekt. Trotzdem werden sie von Kontrolleuren gebüsst.
Rigoros gebüsst wurde zum Beispiel Marietta Haller. Sie besitzt seit kurzem kein Generalabonnement mehr. Sie wollte von Zürich nach Reinach im Kanton Aargau, wo ihre Mutter wohnt. Doch die neuen Zonentarife sind verwirrend. Deshalb erkundigte sie sich am Schalter und kaufte das entsprechende Billet auf ihrem Mobiltelefon. Sie wurde kontrolliert und musste trotz gültigen Billetts 100 Franken Busse bezahlen.
«Da wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen»
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Was sie nicht wusste: Die Auskunft am Schalter deckte nicht die ganze Strecke ab. Ihrem Ticket fehlten die Zonen 510 und 511. Das richtige Billett hätte 1.40 Franken mehr gekostet. «Diese Busse von 100 Franken ist für mich völlig unverständlich», sagt die Bahnkundin.
Dazu sagt Erwin Rosenast von AAR Bus und Bahn, die für diese Busse zuständig ist: «Im Sinne einer Gleichbehandlung von sämtlichen Kunden müssen wir konsequent sein: Das Ticket war kein richtiges Ticket, es haben Zonen gefehlt.»
Auch Pro Bahn Präsident Kurt Schreiber hat massenweise Briefe erhalten. Der Vertreter der Passagiere kritisiert das Vorgehen der Bahn: «Da wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Da wird eine Kundin kriminalisiert, mit der Maximalbusse bestraft. Das müsste man differenzierter anschauen.»
Längjährige Kundin wird zünftig zur Kasse gebeten
Auch beim Fall von Bahnkundin Margrit Wietlisbach aus Basel. Sie reiste für einen beruflichen Termin nach Affoltern am Albis. Sie besitzt seit 30 Jahren ein Generalabonnement zweiter Klasse. Doch an jenem Morgen passierte ihr beim Umsteigen in Zürich ein Fehler. Sie setzte sich aus Versehen in die erste Klasse. So erhielt die langjährige GA-Kundin eine Busse von 75 Franken. Margrit Wietlisbach ärgert sich: «Ich sehe die Angemessenheit nicht. Ich fühle mich als Kundin nicht wahrgenommen.» Nachdem sie sich bei den SBB beklagt hatte, gewährte man ihr eine Reduktion von 20 Franken.
Auf den meisten Langstreckenzügen, Regional- und S-Bahnlinien untersteht das Kontrollwesen den SBB und diese kennen kaum Gnade. Als allgemeine Regel gilt: Schwarzfahren kostet 100 Franken, Fahren mit teilgültigem Ticket 75 Franken. Dies sei lediglich ein Zuschlag, eine Aufwandsentschädigung.
Auch der Ombudsmann des Verbands öffentlicher Verkehr, Hans Höhener, verzeichnet viele Beschwerden. Und er stellt fest, oft werden Kunden sogar zu Unrecht gebüsst. «Es gibt Schlitzohren, die bewusst und gezielt Missbrauch betreiben. Darunter darf der ehrliche Kunde jedoch nicht leiden.»
Ehrliche Kunden wie die Teenager Naomi Rupp und Laura Wernli. Sie wollten mit zwei Austausschülerinnen von Brugg nach Killwangen/Spreitenbach zum Einkaufsbummel. Weil ihnen der Billettautomat zu viele Optionen zeigte, kauften sie ihr Ticket schliesslich am Schalter. Der Preis: 8.40 Franken.
Busse trotz falscher Auskunft am SBB-Schalter
Auf der Rückfahrt gab es für die 14Jährigen eine böse Überraschung. Vier Kontrolleure verhörten die Mädchen einzeln und erteilen ihnen je 75 Franken Busse. «Wir hatten doch ein Billett gelöst. Nie hätten wir gedacht, dass wir trotzdem eine Busse bekommen», sagt Naomi Rupp.
Was die Mädchen nicht wussten: Sie hatten vier Zonen für den Weg über Baden gelöst. Auf dem Rückweg erwischten sie jedoch eine S-Bahn über Mellingen. Das sind zwar auch vier Zonen zum gleichen Preis – doch eine Zone ist falsch – die Zone 571 fehlt.
Mutter Sonja Wernli ist wütend. Die Mädchen wurden verhört wie Kriminelle. Und gebüsst: «Das ist nicht in Ordnung. Sie haben ein Billett gelöst, sind extra an den Schalter, weil sie bei den Automaten nicht drausgekommen sind.»
Der Sprecher der SBB, Christian Ginsig, nimmt im Interview zu den Fällen Stellung. Er hat Verständnis für die verärgerten SBB-Kunden und gelobt Besserung. Er betont jedoch auch, die Verantwortung liege nicht allein bei den SBB, sondern auch bei den involvierten Verkehrsverbünden. Und er verspricht: Die SBB werden den vier Teenagern ihre Busse erlassen.