Jürg Dürig war müde, als er um ein Uhr nachts nach einer langen Reise nach Hause fuhr. Auf einer offenen Strasse in der Nähe eines Sportplatzes sprank ihm völlig unvermittelt ein Reh vor den Wagen. Das Tier war auf der Stelle tot.
Ein totes Reh kostet 1000 Franken «Wertersatz»
Weil Dürig den Unfall erst am nächsten Morgen der Polizei meldete, wurde er mit 300 Franken gebüsst. Die Sprache verschlug es dem Mann aber, als er auf dem Strafbefehl neben der Busse und Schreibgebühren unter dem Titel «Wertersatz» noch eine Forderung von 1000 Franken entdeckte.
Ähnlich erging es Pascal Rossier. Auch er kann in den frühen Morgenstunden auf dem Weg zur Arbeit einem Reh nicht mehr rechtzeitig ausweichen. Rossier hat kein Telefon bei sich. Er legt das tote Tier an den Strassenrand und meldet den Unfall einige Stunden später, in einer Arbeitspause. Auch er wird für die verspätete Anzeige gebüsst und auch er soll 1000 Franken Wertersatz bezahlen.
Rechtsprofessor: «Wertersatz ist eine versteckte Busse»
Was tun bei Unfällen mit Wild?
«Kassensturz» berichtet über den Fall und löst eine Welle der Empörung aus. Mehr als 150 Personen machen ihrem Ärger mit Kommentaren im Internet Luft. Und Rechtsprofessor Gerhard Fiolka von der Universität Freiburg zweifelt die Rechtmässigkeit des Wertersatzes an: Für ihn hat der Wertersatz «eher den Charakter einer versteckten Busse» statt eines Schadenersatzes.
Pascal Rossier und Jürg Dürig fechten ihre Strafbefehle an. Deshalb mussten sie vor der Staatsanwaltschaft erscheinen. Das Resultat: Nach dem Bericht im «Kassensturz» sind die Strafverfolgungsbehörden über die Bücher gegangen.
Kanton Bern ändert Bussenpraxis
Die 1000 Franken Wertersatz werden bei Rossier und Dürig aufgehoben und auch die Busse wegen der verspäteten Meldung wurde reduziert. Und nicht nur das: die Bussen-Praxis bei Wildunfällen wird für den ganzen Kanton Bern geändert. Künftig werden Autolenker also nicht mehr für den Wertersatz des Tieres zur Kasse gebeten.
Für Jürg Dürig ein richtiges Urteil: «Ich konnte mit dem Richter gut reden. Er hat eingesehen, dass keiner mehr Wildunfälle melden würde, wenn die Behörden solch horrende Bussen verteilen.»