Elias Blatter ist zwei Jahre alt und hat einen schweren unheilbaren Herzfehler. Nach der Geburt war sofort klar: Sein Leben ist in Gefahr. Er musste mit der Ambulanz ins Kinderspital Zürich. «Wir haben uns innert 15 Minuten entscheiden müssen: Machen wir alles für ihn oder lassen wir ihn einschlafen», erinnert sich Elias’ Mutter Marika Blatter.
Die Eltern haben sich für Elias entschieden. Nach der Geburt musste er vier Monate im Spital bleiben. Er hat zwei grosse Operationen mit hohem Risiko hinter sich. Danach musste der Bub zweimal reanimiert werden. Der Verlauf seiner Krankheit ist kompliziert und schwer.
Keine geeignete Klinik in der Schweiz
Elias hat nur eine Herzkammer. Er wird immer herzkrank bleiben. Er ist zurzeit stabil, jedoch mit einem hohen Medikamentenbedarf, braucht in der Nacht Sauerstoff und muss häufig zum Arzt. Kardiologe Peter Kuen sagt, ein solch schwerer Herzfehler sei selten: «Zurzeit ist Elias’ Gesundheitszustand stabil. Er steht jedoch ständig auf der Kippe. Wenn er zum Beispiel einen Infekt bekommt, geht es ihm sofort deutlich schlechter.»
Sobald sein Gesundheitszustand nach der zweiten Operation stabil genug war, verordnete ihm der Arzt einen stationären Aufenthalt in einer Rehabilitationsklinik. Denn Elias steht eine dritte riskante Herzoperation bevor. Eine Rehaklinik, welche eine stationäre, strukturierte Behandlung für herzkranke Kleinkinder wie Elias anbietet, gibt es in der Schweiz nicht. Aber jenseits der Grenze im Deutschen Tannheim bietet eine Klinik genau das, was Elias braucht. Dort würde die ganze Familie aufgenommen. Auch sein vierjähriger Bruder. Kosten für vier Personen: für vier Wochen rund 12‘000 Euro.
IV gibt keine Kostengutsprache
Für Elias sei dieser Aufenthalt wichtig, sagt der Kardiologe Peter Kuen: Elias erhalte im Rahmen dieser Reha Ernährungsberatung und Herzkreislauftraining, intensive Physio,- und Ergotherapie. Zudem würden auch die Eltern geschult, wie sie mit der Krankheit umgehen und Elias betreuen können nach der nächsten Operation.
Elias’ Herzfehler ist bei der IV als Geburtsgebrechen registriert. Das heisst, für seine medizinische Behandlung ist die Invalidenversicherung zuständig - auch für einen Aufenthalt in einer Rehaklinik. Doch die IV-Stelle Luzern verweigert die Kostengutsprache. Die Begründung: Die IV bezahle ambulante Therapien für Elias in der Schweiz. Beim Reha-Aufenthalt in Deutschland handle es sich nicht um eine spezifische Therapie, sondern um eine Betreuung der Familie.
«Wir verstehen das Schweizer Gesundheitssystem nicht», sagt Elias’ Mutter Marika Blatter. «Jeder Erwachsene, der einen Herzinfarkt oder eine Herzoperation hat, darf in die Reha. Ein kleines Kind jedoch nicht.»
Andere Versicherungen würden Reha im Ausland zahlen
Im Gegensatz zur Invalidenversicherung zahlen grosse Krankenkassen wie zum Beispiel die Helsana stationäre Reha-Aufenthalte auch im Ausland – wenn sie dafür zuständig sind. Bezahlt würde für ein Kind und einen Elternteil. «Hier geht es um eine Herz-Rehabilitation von einem Zweijährigen. Es ist klar, das Angebot wie es Tannheim bietet, gibt es in der Schweiz nicht. Zudem kann ein zwei Jahre altes Kind nicht alleine in die Reha», sagt Susanna Henseler, Leiterin Kompetenzzentrum Ausland bei der Helsana. Auch die Assura bestätigt, dass sie für Kosten von Kinder- oder Familien-Rehas aufkommt, wenn ein vergleichbares Angebot in der Schweiz fehlt. Die Beiträge der Eltern würden aus speziellen Fonds ausserhalb der Grundversicherung finanziert.
Das Bundesamt für Sozialversicherung stellt sich hinter die IV-Stelle Luzern. Eine Behandlung im Ausland müsse die IV nur in Ausnahmefällen bezahlen. Zudem komme sie für viele stationäre und ambulante Behandlungen von Elias Blatter in der Schweiz auf. Und: Die Eltern von Elias würden Hilflosenentschädigung und einen Intensivpflegezuschlag erhalten.
Rechtsexperte findet, IV müsse bezahlen
Pro Jahr gibt es drei bis fünf schwer herzkranke Kinder, welche eine solche Rehabilitation benötigen. «Kassensturz» kennt auch einen weiteren aktuellen Fall, bei dem die IV die Reha nicht zahlt. Doch offensichtlich entscheidet jede IV-Stelle anders: Bei Patienten aus anderen Kantonen hat die IV die Reha auch schon bezahlt, in exakt der gleichen Klinik. Gemäss Recherchen von «Kassensturz» haben diese IV-Stellen haben zumindest die Kosten für das Kind übernommen.
Christoph Zenger, Lehrbeauftragter Gesundheitsrecht an der Uni Bern, kennt die Fälle von Elias und der anderen Kinder. Im Gegensatz zur IV kommt er zum Schluss, dass die Reha für Elias von der IV bezahlt werden muss: «Die IV sollte das Gesuch prüfen und die Kosten bezahlen. Für das Kind und mindestens einen Erwachsenenteil.» Ausserdem könnte der Bund für solche Fälle ein klare gesetzliche Grundlage schaffen: Es braucht einzig eine kleine Änderung der IV-Verordnung. So würden alle Kinder gleich behandelt werden von der IV.
Die Geschichte von Elias Blatter kommt dennoch zu einem Happy End: Eine private Stiftung springt ein. Elias darf vor seiner nächsten grossen Operation mit der ganzen Familie in die Reha.