Die eine Firma baut Züge, die andere kümmert sich ums Geld. Die Stadler Rail AG und die Zürcher Kantonalbank haben eins gemeinsam: Zwei ihrer Mitarbeitender liegt die Artenvielfalt besonders am Herzen. Diese zwei Menschen konnten ihre Fima dazu bewegen, etwas für die Biodiversität zu tun. Denn die Rechnung ist simpel. Grosse Firmen verfügen meist über grosse Flächen. Das bedeutet: Grosses Potenzial für mehr Biodiversität.
Der Bienen-Doktor
Umgeben von befahrenen Strassen steht der Neubau von Stadler Rail in St. Margrethen im Kanton St. Gallen. Auf den ersten Blick kein lauschiges Plätzchen für einheimische Tiere und Pflanzen. Auf den zweiten Blick kann aber ein grosses, bepflanztes Dach erkennt werden. Dort oben steht Christian Suter. Er leitete das millionenschwere Bauprojekt des Schweizer Zugunternehmens. «Im Rahmen des Projekts habe ich mir überlegt, was ich hier für die Natur tun könnte», sagt Suter. Denn für den Projektleiter war klar: «Wir können nicht zusehen, wie unsere Kinder jeden Freitag auf die Strasse gehen, und dabei selbst nichts tun.»
Das Potenzial erkannte er in der Höhe: 22'000 Quadratmeter Dachfläche. Statt einem konventionellen, extensiven Sedum plädierte er für eine einheimische Blumenmischung. Diese Mischung der Onlineplattform Floretia kostet aber einen Franken mehr pro Quadratmeter. Die Mehrkosten mussten von der Geschäftsleitung abgesegnet werden. «Meine Idee stiess erstaunlicherweise auf offene Ohren», sagt Suter. «Ich heisse jetzt aber Bienen-Doktor.» Damit könne er leben.
Andere Firmen inspirieren
Auf dem Dach wachsen unterdessen einheimische Blumen, Kräuter und Büsche. Für Käfer und Bienen sind sie wertvoll. Immer wieder sieht Suter eine Blüte, die er zeigen will. Dann spaziert er an der Solaranlage vorbei und meint: «Diese riesige Fläche ist prädestiniert für eine Solaranlage.» Auch dafür setzte sich der «Bienen-Doktor» ein. Die Anlage wird von der Genossenschaft Solar St. Gallen betreiben. Sie deckt etwa einen Viertel des Strombedarfs des Standorts ab.
Suter blickt vom Dach hinunter. Kurzgeschnittene Rasen wurden in Magerwiesen verwandelt. Auch Sickermulden sind entstanden. «Im Sommer schwirren dort Libellen und Schmetterlinge herum», meint Suter. Dieses Bauprojekt soll seiner Meinung nach nur eins von vielen sein. «Ich hoffe, es bewegt andere Firmen dazu, sich für mehr Biodiversität zu engagieren.»
Der mutige Macher
An einem anderen Tag bei der Filiale der Zürcher Kantonalbank in Regensdorf. Vor dem Eingang begrüssen Ziersträucher die Kunden. Auf dem Parkplatz winken ein japanischer Knöterich und eine Lorbeerart. Beides sind Pflanzenarten, die aus dem Ausland in die Schweiz gebracht wurden. «Es wirkt sehr aufgeräumt hier», sagt Franz Hollinger, Real Estate Manager bei der ZKB. «Es ist eine tote Umgebung.» Dieses Grün habe nichts mit Biodiversität zu tun. Deshalb werden Angestellte von Wildbiene + Partner hier in den nächsten Monaten anpacken.
Vor dem Firmensitz bei der Zürcher Hardbrücke sind schon einheimische Sträucher eingepflanzt und Holzstrukturen zum Nisten für Wildbienen angelegt. «Der Aussenraum aller Zürcher Filialen, welche sich im Eigentum der Bank befinden, wird insektenfreundlich umgestaltet», erklärt Hollinger, der die Idee dafür hatte und sie bis vors Management brachte. «Ich habe mich gut vorbereitet und stichhaltige Argumente gesammelt», so Hollinger. Denn auch dieses Projekt verursacht Kosten – insbesondere am Anfang. Später sei der Unterhalt sogar günstiger, meint Hollinger. «Häufig müssen die einheimischen Pflanzenarten weniger gepflegt werden als Ziersträucher oder gebietsfremde Blumen.»
«Kleiner, aber wichtiger Beitrag»
Das Management hinterfragt nicht nur die Kosten, sondern auch die Ästhetik. Einige Leute seien skeptisch gewesen, ob diese biodiverse Gestaltung schön sei. «Das ist Ansichtssache», sagt Hollinger diplomatisch. Zudem hätten einige Arbeitskollegen ihre Angst vor Bienenstichen geäussert. Doch der Naturliebhaber räumte alle Argumente aus dem Weg. «Wer sich über den Klimawandel informiert, merkt, es gibt gar keine andere Option, als zu handeln», sagt der Real Estate Manager.
Es ist jedoch bekannt, dass Schweizer Grossbanken teilweise indirekt klimaschädliche Firmen unterstützen. Darunter sind beispielsweise Banken, die im Bereich der fossilen Brennstoffe tätig sind. «Natürlich retten wir nicht die Welt, wenn wir den Aussenraum einer Bank biodivers gestalten», sagt Hollinger. Obwohl es ein kleiner Beitrag für die Natur sei, sei er wichtig. Insgesamt wird die ZKB 6'500 Quadratmeter des Aussenraums naturnah gestalten.
Ob Bank, Zugbauer oder ein anderes Kerngeschäft: in und um Firmen steckt viel Potenzial für mehr Biodiversität. Kahle Dächer, kurzgeschnittene Rasen oder versiegelte Aussenplätze könnten weichen und Platz schaffen für Käfer, Bienen und Wildblumen. Auch mit relativ wenig Investitionen kann Grosses bewirkt werden.