Wie sich die Pflanzen während der Jahreszeiten entwickeln ist eine Wissenschaft für sich. Sie nennt sich Phänologie. Die Pflanzen passen sich an Witterung und Klima an. Ändert sich das Klima, so ändert sich auch das Verhalten der Pflanzen. Doch warum blüht der Krokuss, während die Obstbäume ihre Knospen noch fest geschlossen haben? Was ist noch normal und was gibt Grund zur Sorge. Regula Gehrig, Phänologin bei Meteo Schweiz erklärt, welche Auswirkungen ein milder Winter auf die Pflanzenwelt hat.
Extrem milder Winter
Der Winter 2019/2020 gehört bereits jetzt zu den mildesten Wintern seit Messbeginn. Der Dezember 2019 war nach 2015 und 1868 der drittwärmste seit den Aufzeichnungen, der Januar war lokal sogar der wärmste seit Messbeginn. Diese milden Temperaturen haben Auswirkungen auf das Verhalten von Pflanzen – manche treiben früher aus oder bilden Blüten.
Viele Haselsträucher stehen bereits in Blüte. Im Tessin wurden sogar schon an Weihnachten Pollenabgaben gemessen. Dies sei eher ungewöhnlich, aber nicht das erste Mal, dass so etwas vorkomme, sagt Phänologin Regula Gehrig. In den letzten 20 Jahren habe man bereits ähnliche Messungen gemacht.
Je nach Jahreszeit und Pflanzenart sind die Entwicklungen unterschiedlich, weil nicht alle Pflanzen genau gleich auf die sich ändernden Temperaturen reagieren. Phänologische Datenerhebungen haben zum Beispiel ergeben, dass die Hasel im Vergleich zu 1951 im Schnitt 16 Tage früher blüht. Auch die Blüte des Löwenzahns kommt im Mittel 13 Tage früher als noch vor 70 Jahren.
Schaden milde Winter den Pflanzen?
«Diejenigen Pflanzen, die jetzt bereits blühen, reagieren besonders schnell auf warme Temperaturen», erklärt Phänologin Regula Gehrig. Sie seien aber auch weniger kälteempfindlich und so mache es ihnen nicht viel aus, wenn es dann doch noch einmal kalt werden sollte – sie blühen einfach nach der Kälteperiode von neuem.
Kälteempfindlichere Pflanzen, zum Beispiel Obstbäume, haben einen Schutzmechanismus, damit sie nicht bereits im Januar blühen – das sogenannte «Chilling». Mit kühleren Temperaturen im Herbst beginnt die Winterruhe. Bevor sie bei wärmeren Temperaturen zu blühen beginnen, müssen sie eine bestimmte Anzahl kalter Tage erlebt haben. Erst dann brechen sie bei Wärme die Winterruhe. Die Buche hat zudem die Fähigkeit, auf die zunehmende Tageslänge zu achten.
Die Pflanzen können also mit milden Temperaturen im Winter umgehen. Erst wenn es insgesamt zu wenig kalte Tage gibt, bekommen sie ein Problem – und das kann gerade bei Obstbäumen Auswirkungen auf die Ernte haben. Zu wenig «Chilling» kann bewirken, dass sich die Blütenbildung verzögert. Betroffene Pflanzen blühen dann erst später oder gar nicht mehr. Dies sei zum Beispiel schon bei Pistazien in Tunesien der Fall, da gäbe es aufgrund von zu milden Wintern nicht mehr jedes Jahr eine Pistazienernte, berichtet Gehrig.
«Im Moment haben die Pflanzen noch genug Winterchilling», stellt Regula Gehrig fest. In Zukunft könnte sich dies mit dem Voranschreiten der Klimaerwärmung aber ändern. In Zusammenhang mit sich häufender Sommertrockenheit kann es sein, dass sich manche Pflanzen aus dem Mittelland in die Voralpen zurückziehen werden.