«Der Biber ist ein Anarchist»
Je mehr Biber, desto mehr rote Köpfe bei uns Menschen. «Am meisten ärgert die Leute, dass der Biber ein Anarchist ist, und nicht zuhört oder Konzepte liest. Er macht, was er will », weiss Christof Angst von der Biberfachstelle aus Erfahrung.
In der dicht besiedelten Schweiz, wo jeder Quadratmeter von jemandem beansprucht wird, kommt es früher oder später zu Konflikten.
So fällt im Garten etwa ein liebgewonnener Baum der Lust des Bibers nach Rinde zum Opfer. Oder die Strasse entlang eines Baches stürzt ein, weil sich der Biber einen Wohnkessel in die Uferböschung gegraben hat. Den Landwirten geht der Biber an die Zuckerrüben und den Mais, und ab und an überschwemmt er ein ganzes Waldstück. Vernässte Wälder sind zwar wichtig für die Artenvielfalt, aber die Waldbesitzerin verliert ihren Ertrag.
Wo der Biber nur Ärger macht
Probleme machen die Biber auch auf der Südhalbkugel – und wir sind mitverantwortlich. Denn es war der Mensch, der kurz nach dem 2. Weltkrieg Biber nach Feuerland, den äussersten Zipfel Südamerikas, gebracht hat. Man wollte ein lukratives Geschäft mit Biberpelzen aufbauen. Eine Fehlkalkulation.
Die Biber-Pelzindustrie hat nie wirklich Fuss gefasst – die Biber schon. Sie breiteten sich unkontrolliert aus, und wo sie sich ansiedelten, gingen die Wälder zugrunde. Zerstörte Lebensräume, Artenverlust: In Südamerika werden Biber mittlerweile als kleine Ökoterroristen gejagt.
Der scharfe Zahn des Bibers
Das Problem: In der ganzen Entwicklungsgeschichte Südamerikas gab es dort nie Biber – so konnte sich die Natur auch nicht an den Biber gewöhnen. Nagen Biber einen südamerikanischen Baum um, dann stirbt dieser.
Ganz anders in der Schweiz, wo der Biber 15 Millionen Jahre lang fester Bestandteil der Natur war : Eine Weide kann wieder ausschlagen, wenn sie vom Biber geköpft wird. Durch die Aktivität der Biber können Bruch- und Auenwälder entstehen, welche wichtige Bestandteile unserer Landschaft sind. Dort wo der Biber für natürliche Lebensräume sorgt, vermehren sich viele einheimische Tier- und Pflanzenarten besonders erfolgreich.
Baumeister Biber
Besonders bekannt sind Biber für ihre Dämme. Biber-Fachmann Christof Angst erklärt, weshalb die Nager in mühseliger Arbeit Äste, Schlamm und Stämme aufschichten: «Biber machen überall dort Dämme, wo das Wasser im Bach nicht mindestens einen halben Meter tief ist.» Mit dem Teich hinter dem Damm erreichen sie, dass der Eingang zu ihrer Wohnhöhle, die sie ins Bachufer graben, gut versteckt unter Wasser liegt.
Wenn das Gebiet flach ist, können durch den Damm mehrere Hektaren bis zu einem halben Quadratkilometer überschwemmt werden.
Die Auswirkungen sind gewaltig. Die Biber amten als Ökosystem-Ingenieure, die die Vielfalt an Lebensräumen erhöhen . Statt eines Baches gibt es nach Ankunft der Biber im gleichen Gebiet auch noch Teiche, feuchte Wiesen und Wälder, sowie viel Totholz für Insekten.
Grössere Artenvielfalt dank Biberteich
Am Teichufer finden Amphibien Schutz und Laichplätze. Es tauchen Ringelnattern auf, die den Kaulquappen und Fröschen nachstellen. Die Vielfalt an Libellen und Vögeln nimmt zu, und über der offenen Wasserfläche können Fledermäuse auf die Jagd gehen.
Als der Biber in der Schweiz anfangs des 19. Jahrhunderts ausgerottet wurde, verloren all jene Pflanzen- und Tierarten, die sich an die Anwesenheit des Bibers angepasst hatten, mit dem kleinen Ökosystem-Ingenieur auch ihren Lebensraum. Die Wiederansiedlung des Bibers ab 1956 ist deshalb ein Segen für die hiesige Artenvielfalt.
Zusammenleben braucht Kompromisse
Die Gestaltungswut der Biber ist mühsam für uns Menschen. Der Biber fordert Platz ein für seine Bauprojekte. Er renaturiert, wo wir Bäche kanalisiert und Bruchwälder trockengelegt haben. Und er ist hartnäckig: Biber abzuschiessen oder ihre Dämme zu zerstören ist nicht immer die nachhaltigste Lösung – verwaiste Biber-Reviere können von neuen Bibern besetzt werden und Dämme sind schnell wieder aufgebaut.
Wir können das Verhalten des Bibers nicht ändern, aber wir können versuchen, unseren Umgang mit den Gewässern zu ändern.
«Häufig», gibt Christof Angst zu bedenken, «ist das Problem nicht der Biber, sondern die Gewässer, die wir Menschen komplett verändert haben.» Indem wir den Gewässern mehr Raum geben – etwa einen Grünstreifen zwischen Acker und Bach anlegen oder die Wege nicht direkt am Fluss entlang führen – ist schon viel erreicht.
Elektrozäune, Drahtgitter, Entschädigungen, Abschuss; den kantonalen Wildhütern steht ein ganzes Massnahmenpaket zu Verfügung, um das Zusammenleben von Mensch und Biber zu entschärfen. Wenn die Wildhüter nicht mehr weiterkommen, sucht auch die Biberfachstelle unter der Leitung von Christof Angst nach Lösungen und vermittelt zwischen Mensch und Nager.
Ein kleiner Naturschützer
Der Biber arbeitet durchaus auch für uns Menschen: Er sorgt für mehr Artenvielfalt. Er legt mit seinem Teich Wasserreserven für Trockenzeiten an. Er reichert das Grundwasser an, wenn das Wasser im Biberteich in die Böschung versickert. Und im Teich werden Stickstoff, Phosphor und Pestizide abgebaut. «Eigentlich», sagt Christof Angst, «sind Biberteiche natürliche Kläranlagen.»
In der Mongolei hoffte man, sich die Gestaltungskraft des Bibers zur Bekämpfung von Trockenheit zunutze machen zu können. Statt viel Geld in den Bau von Wasser-Rückhaltebecken zu investieren, hat man 2012 am Fluss Tuul Biber ausgesetzt. Sie sollen mit ihren Dämmen gratis für mehr Wasservorräte sorgen. Eine ökologische Katastrophe – wie sie der Mensch durch das Aussetzen von Bibern in Feuerland ausgelöst hat – ist nicht zu erwarten. Denn am Fluss Tuul war der Biber früher heimisch.