Wissenschaftler im Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg haben eine neue Tierart entdeckt: Der Marmorkrebs (Procambarus virginalis) ist vermutlich vor 30 Jahren in einem einzigen Schritt aus dem Everglades-Sumpfkrebs hervorgegangen und hat sich seither weltweit verbreitet.
Alle bisher untersuchten Tiere sind weiblich, pflanzen sich ohne männliche Hilfe durch Jungfernzeugung fort und weisen exakt das gleiche Erbgut auf. Daher müssen durchaus vorhandene Unterschiede einzelner Exemplare in Aussehen oder Verhalten auf epigenetische Vorgänge zurückzuführen sein.
Weil auch die Krankheit Krebs häufig epigenetische Ursachen hat, ist der Marmorkrebs ein höchst interessantes Modell für die Krebsforschung.
Epigenetik spielt auch bei Krebserkrankungen eine Rolle
Frank Lyko, Wissenschaftler im Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg, interessiert sich für Epigenetik. Dabei geht es nicht um Fehler im Erbgut, die dazu führen, dass ein Gen ein falsches Produkt liefert, komplett fehlt oder mehrfach vorhanden ist. Vielmehr beschäftigt sich die Epigenetik mit kleinsten Veränderungen am Erbgut, die zur Folge haben, dass ein Gen stärker oder weniger stark aktiv ist. Das spielt eine Rolle beim Anpassen des Organismus an verschiedene Umweltbedingungen, etwa die Ernährung, die Populationsdichte oder die Temperatur.
Epigenetische Faktoren können aber auch das Krebsrisiko beziehungsweise den Verlauf einer Krebserkrankung beeinflussen., sagt Lyko. «Um die Grundlagen der Epigenetik zu verstehen, benötigen wir Modelle, und da sind die typischen ‹Haustiere› der Krebsforscher wie Maus oder Ratte weniger gut geeignet», erklärt Frank Lyko. Und deshalb wurde der Krebsforscher nun zum «Krebs-Krebsforscher».
Ideales Studienobjekt
Der Marmorkrebs ist ein Süsswasserkrebs, der weltweit verbreitet ist. Ein Zoologe hatte den Wissenschaftlern vom DKFZ den Tipp gegeben, sich mit dem Marmorkrebs zu beschäftigen. Er hatte vermutet, dass sich dieser Krebs durch Klonen fortpflanzt, weil es von ihm ausschliesslich Weibchen gibt. Die Tiere müssten daher alle das gleiche Erbgut besitzen und ihre grosse Vielfalt in Aussehen oder Verhalten könnte nur auf epigenetische Ursachen zurückzuführen sein.
Lyko zeigte sich interessiert, holte die Tiere ins Labor und bestätigte die Vermutung des Zoologen: «Wir haben bei vier Tieren aus verschiedenen Quellen das Erbgut entschlüsselt. Alle Tiere waren identisch, wir haben keinen einzigen genetischen Unterschied gefunden. Es handelt sich beim Marmorkrebs also tatsächlich um einen Klon, bei dem Millionen von Tieren aus einem einzigen Ursprungskrebs hervorgegangen sind.»