8600 Männer und 6900 Frauen sterben alleine in der Schweiz jedes Jahr an Krebs. Krebs ist damit eine der häufigsten Todesursachen und da die Bevölkerung immer älter wird, werden auch immer mehr Krebskranke gezählt.
Letzte Woche hat sich die internationale Krebsforscher-Elite in Zürich am Brupbacher-Symposium unter dem Titel «Durchbrüche in der Krebsforschung und Therapie» getroffen. Im «Treffpunkt» auf Radio SRF 1 und in der Gesundheitssendung «Puls» gab Prof. Roger Stupp Einblicke in seine Tätigkeit als Leiter des Tumorzentrums am Universitätsspital Zürich und in den aktuellen Stand der Krebsforschung.
SRF: Auch nach Jahrzehnten intensiver Forschung gibt es noch kein Patentmittel gegen Krebs. Wieso?
Prof. Roger Stupp: Krebs ist nicht eine einzige Krankheit, sondern ein Überbegriff für viele Krankheiten. Die haben verschiedene Gesichter und verschiedene Mechanismen, die zu ihnen führen. Einzelne Krebsarten können geheilt werden, andere lassen sich sehr gut therapieren.
Welche Fortschritte gab es in den vergangenen 20 Jahren?
In dieser Zeit wurden enorme Erfolge erzielt! Wir haben eine Vielzahl neuer und besserer Medikamente. Die Chemotherapie – früher ein Angstbegriff – ist heute für die Patienten viel verträglicher. Allgemein gibt es weniger Nebenwirkungen und auch bessere Medikamente, um diese Nebenwirkungen zu kontrollieren.
Therapien wurden effizienter und stehen für mehr Krebsarten zur Verfügung. Neu können wir zielgerichtete Therapien einsetzen, da wir ein besseres Verständnis auf molekularer Ebene haben. So lässt sich viel Gutes mit viel weniger Schaden bewirken.
Das klingt vielversprechend. Aber gibt es nicht auch Bereiche, wo man völlig im Dunkeln tappt?
Völlig im Dunkeln nicht. Die biologische, molekulare und genetische Forschung hat enorme Fortschritte gemacht, da fliessen viele neue Erkenntnisse in unsere tägliche Arbeit ein. Es braucht einfach etwas mehr Zeit, als man sich gemeinhin vorstellt. Hinter jeder Schlagzeile in den Medien stecken in der Regel fünf bis zehn Jahre Arbeit – und die vermeldeten Durchbrüche entsprechen kleinen Schritten.
Konkrete Forschritte
Unterdessen sind bereits erste Therapiekonzepte im Spitalalltag angekommen. «Zum Beispiel bei den Immuntherapien, also gegen Leukämie oder bei gewissen Hauttumoren, können Patienten bereits davon profitieren», sagt Josef Jiricny vom Institut für molekulare Krebsforschung der Universität Zürich.
Die Krebsbekämpfung als Ganzes sei aber natürlich sehr komplex. Experten schätzen, dass rund 80 Prozent der Patienten nach wie vor die klassischen Therapien erhalten. «Man kann nicht einfach die früheren Erfolge, wie zum Beispiel die Chemotherapie, über Bord werfen. Die neuen Ansätze sind meistens ergänzend», sagt Roger Stupp.
In der Forschung erkennt man vor allem konkrete Fortschritte, weil Wissenschaftler immer mehr verstehen, was einen Tumor auslöst, wie er wächst und wie er sich ausbreitet. «Die Durchbrüche im Detail zu benennen, ist immer schwierig», sagt Markus Manz, Hämatologe am Universitätsspital Zürich. Früher betrachtete man die Tumore unter dem Mikroskop. Heute schaut man aber viel genauer hin, was erst dank der genetischen Charakterisierung der Tumorzellen möglich wurde. «Das ist zum Beispiel bei den sehr aggressiven Lymphomen gelungen und kommt in Form von Medikamenten in der Klinik an», sagt Manz.
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Die neuen Therapien werden aber hauptsächlich im Rahmen von Studien durchgeführt. «Nicht alles was in Studien gemacht wird, ist hochexperimentelle Forschung», betont Stupp. Da habe die Öffentlichkeit manchmal ein falsches Verständnis. «Alle Patienten müssen in Studien behandelt werden, das ist die beste Möglichkeit aus unseren Fehlern zu lernen, damit wir es in Zukunft besser machen.» Die neuen Erkenntnisse fliessen so Tag für Tag direkt in die Behandlung der Patienten ein.
Ein Beispiel dafür ist der Lungenkrebs: «Wir können heute gewisse Lungenkrebsformen molekular charakterisieren und haben jetzt Medikamente ohne grosse toxische Nebenwirkungen, die ganz spezifisch wirken und den Krebs gezielt zurückdrängen.»
Das hätte man vor fünf oder zehn Jahren nicht gehabt, so der Onkologe. Gleichzeitig aber warnt er auch vor zu grosser Euphorie: «Wir sind am Anfang einer Entwicklung. Wir haben einen ‹Döschwo› gebaut – und jetzt müssen wir schauen, dass wir daraus einen Ferrari machen.»